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Der feste Stand – alles in Bewegung

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Der feste Stand – oder ist doch eher die Bewegung und Rotation das zentrale Thema? Warum wird in der Kampfkunst eigentlich so viel Wert auf den Stand gelegt?
In der Grundschule gehören Stände einfach dazu. Doch dahinter verbirgt sich meist kaum mehr als eine gymnastische Übung. Man „geht“ in den Stand. Stundenlang wird daran gefeilt, wie die Fußhaltung zu sein hat, wie tief der Stand zu sein hat, wie er statisch aussieht. Und wie man „damit läuft“. Was sich überraschenderweise gerade für normale Menschen sehr anstrengend gestaltet und sich doof anfühlt.

Stand ohne Statik

Eigentlich verstecken sich dahinter aber eher die Themen Struktur und Körperspannung. Auch ich beschäftige mich gern und ausführlich damit, ob als Übender oder als Trainer. Aber ich versuche, den Stand ganzheitlich zu sehen. Immer wieder wird auf die korrekte Ausführung geachtet, auf Gewichtsverlagerung, Stellung der Füße, der Knie, des Beckens. „Die Kraft kommt aus der Erde, dem Boden.“ Über die Zehen können wir spüren, wie wir die Kraft aufnehmen, die Spannung sich ausbreitet. Fußaußenkanten belasten kann für einen X-Beiner wie mich schon eine Herausforderung sein. Knie, die leicht nach außen angespannt werden, helfen bei dieser Wahrnehmung. In der Bewegung locker, aber im Moment der Konfrontation, des Auftreffens, hilft diese Kraft – durch die rotierende Hüftarbeit aufgenommen – den Schlag oder Tritt wirklich effektiv zu machen.

Wer dagegen noch keinen festen Stand entwickelt hat, also die Statik noch nicht „spürt“, der wird nicht nur die Kraft im Schlag oder Tritt nicht aufbringen, sondern auch in der Bewegung danach „wackeln“, immer in der Gefahr, das Gleichgewicht zu verlieren. In der Grundschule wird also zunächst das Fundament gesetzt, ganz sprichwörtlich. Zenkutsu Dachi, Kiba Dachi, Kokutsu Dachi – hoch und tief, in enger und weiter Ausführung. Später dann die Katzen- und die Kranichstellung, also Neko Ashi Dachi und Tsuri Ashi Dachi.

In den verschiedenen Kata wird weiter daran gefeilt. Je tiefer und raumgreifender die Stände, desto besser sieht eine Form aus. Doch ab hier wird es schwierig. Denn jeder, der auf Turnieren antritt, kennt das: noch ein wenig tiefer, noch ein wenig eleganter in der Endposition. Vielfach wirkt das auf die Grundschule zurück: Die Stände werden tiefer ausgeführt, sie gelten als sauberer. In der Bewegung soll der Kopf gar auf einer Höhe bleiben, der Trainierende also gar nicht mehr hochkommen im Vorwärts- oder Rückwärtslaufen. Und im heutigen Shotokan und vielen anderen Stilen wird daraus sogar eine meist lineare Bewegung, also nur noch vor und zurück.

Doch genau diese Fixierung auf den tiefen Stand in einer Linie führt meiner Meinung nach total in die Irre. Jedenfalls, wenn es um KAMPFkunst geht. Als Mittel zur Kräftigung von Muskulatur und dem Aufbau eines guten „Bodengefühls“ haben auch tiefe Stände ihren Sinn. Doch beim Blick über den Gartenzaun stellt jeder halbwegs intelligente Mensch fest: Da stimmt was nicht. Klassische Boxer sind angewiesen auf schnelle Hände, harte Treffer und flotte Meidbewegungen. Schließlich haben sie nur ihre Hände. Der Stand ist ein natürlicher, die Füße schulterbreit auseinander. Taekwondoka sind Experten im Benutzen ihrer Füße. Im Kampf die gleiche Stellung: schulterbreit, stets extrem beweglich und schnell. Nur im Moment des Treffens steht er fest, damit der Gegner auch umgehauen werden kann. Auch im Silat, wo noch intensiver mit Rotation und Bodenarbeit gekämpft wird: Grundstellung schulterbreit und nahezu aufrecht.

Tiefe Stellungen taugen nix

Will oder muss ich kämpfen, behindern mich tiefe Stellungen eher. Und wenn ich angegriffen werde, ist die schlechteste Bewegung die, die mich gerade nach hinten führt. Attackiert mich ein Gegner, wird er versuchen, seine Kraft in meine Richtung zu bringen. Gehe ich stur nach hinten, folgt er mir und baut sich, ähnlich einer Welle, zu immer stärkerer Durchschlagskraft auf. Denn er ist immer schneller im Vorwärtsgehen als ich in der Rückwärtsbewegung.
Also muss ich aus der Angriffsrichtung raus. Und schon bin ich in der hohen Kunst der Angriffs- und Verteidigungswinkel. Schaffe ich es, mich seitlich nach vorn zu bewegen, stehe ich schon mal super, denn ich bin dicht am Angreifer und schräg seitlich von ihm.

Schön und gut, doch nur ‚da Rumstehen‘ hilft mir auch nicht weiter, denn sonst dreht sich der Angreifer einfach mit um und langt mir dann eine. Also muss ich selber in Aktion treten. Und das bekomme ich nur (sinnvoll) hin, wenn ich selber eine stabile Position eingenommen habe. Ich muss also so aus der Richtung gehen, dass ich danach stabil stehe, doch trotzdem flexibel reagieren kann. Und zwar möglichst immer! Das geht nur, wenn ich mein Körpergewicht auf beide Füßen verteilt habe. Wer bei der Meidbewegung wackelt, macht was falsch und muss weiter üben, üben, üben.

Denn obwohl der Stand ja ganz natürlich und kinderleicht ist, ist es gar nicht so einfach, ihn einzunehmen. Also sollte beim fortgeschrittenen Training der Fokus nicht auf dem Stand, sondern auf der Bewegung in ihn hinein liegen! Die Bewegung sollte trainiert werden, nicht die „eingerastete“ Endstellung. Denn es gibt keine Endstellung, wenn ich kämpfe. Sobald ich meine Energie, gesammelt aus Bewegung und Körperrotation, in Richtung Gegner abgeschossen habe, ob als Tritt oder Schlag, nehme ich wieder meine natürliche, meist schulterbreite Kampfstellung ein.

Wenn das begriffen wird und klappt, dann macht es ab jetzt nur noch Spaß. Ich stehe im Kampf sicher, der Gegner seitlich von mir. Die anschließende Körperdrehung zum Angreifer hin bringt mich jetzt in eine ideale eigene Angriffsposition. Und da ich auf beiden Füßen stehe, hab ich die volle Kontrolle über meine eigenen Waffen, also Fäuste, Ellbogen, Knie, Füße etc. Im Silat wird diese Meidbewegung mit leichter Drehung „Gelek“ genannt. Und immer und immer wieder geübt. Für mich persönlich ist sie der (momentan) wertvollste Schatz, den ich hier bisher lernen durfte.

Ich binde seit einiger Zeit den Gelek in all die Partnerübungen, die Kumite, ein, die ich in den letzten Jahren gelernt und geübt habe. Und siehe da: Auf einmal werden aus bloßen Bewegungsfolgen wirklich sinnvolle Kampfsituationen. Es verlangt ein wenig Üben und Nachdenken, damit man die richtigen Winkel erkennt. Aber von der Detektivarbeit und dem Spaß, genau diese Kampfelemente in der Grundschule zu entdecken, habe ich ja bereits geschrieben.

Hoch und runter

Und auch das Heben und Senken gewinnt jetzt an Wichtigkeit. Unser Körper ist so gebaut, dass er eine frontale Konfrontation einigermaßen heil übersteht. Was Rippen, Schlüsselbeine oder Bauch aber gar nicht mögen, ist ein rabiater Treffer von unten oder oben ins Zentrum hinein. Wenn ich es schaffe, mich ein wenig größer zu machen, und dann mein sinkendes Gewicht in Angriffsenergie mitzunehmen, habe ich nicht nur einen verstärkten Schlag, sondern auch einen besseren Wirkungswinkel. Wenn ich alternativ von unten „auftauche“, dann brauche ich gar nicht viel Kraft, um mit meiner Faust ziemliches Unheil am gegnerischen Körper anzurichten, ob auf Leber, Niere, unterm Kinn  oder „nur“ unter den Rippenbögen.

Außerdem brauche ich, wenn ich gegen größere und kräftigere Gegner antrete, jede noch so kleine Möglichkeit, meine Schlagwirkung zu verstärken. Okay, ICH muss mich meistens nicht schwerer machen (seufz), aber schließlich unterrichte ich auch leichtere Zeitgenossen. Und die sind drauf angewiesen, durch Rotation und Heben und Senken ihre Kilogramm hinter die Fäuste oder Füße zu bekommen.

Wenn ich jetzt das so Gelernte ernst nehme, dann verändert sich mein Kempo. Mit weitreichenden Folgen. Denn wenn ich zugleich auch unsere Tai Tsuku und Saifa ernst nehme als überliefertes Kampfkunstwissen, dann muss ich auch hier Stände und Bewegungen anpassen. Alle Kata sind nur sinnvoll, wenn sie „gekämpft“ werden. Wenn also der imaginäre Gegner tatsächlich abgewehrt und dann bezwungen wird. Wenn ich aber erkannt habe, dass die meisten der tiefen Stände (nicht alle!) Quatsch sind und wenn die passenden Meidbewegungen fehlen, dann muss ich konsequenterweise auch die Kata verändern, damit sie kämpferisch Sinn macht.

Trainiere ich die Kata als gymnastische Übung, dann gehe ich in die tiefen Stände. Je tiefer, desto anstrengender. Und schön vor allem für Kampfrichter auf Turnieren. Trainiere ich aber Kata so, wie ihre Urväter sie entwickelt haben, dann sind Stände nicht das zentrale Element, sondern die Bewegung und die Winkel zum Gegner, die Körperrotationen und Meidbewegungen, die Flexibilität und die Effektivität. Unsichere Stände sind dabei unbedingt zu vermeiden, denn im realen Kampf sind sie tödlich. Leider vor allem für einen selber …

 

 

 

 

 

 

 

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