Der Weg der Faust

Ich nehme mir auf dieser Seite die Freiheit, einmal genauer auf die Kampfkünste eingehen. Und zwar aus meiner ganz eigenen Sicht.
Ganz grob möchte ich zwischen Kampf, Kampfkunst und Kampfsport unterscheiden.

Kampf

Seit es Menschen gibt, gibt es Auseinandersetzungen. Die schlauen Menschen führen diese Auseinandersetzungen mit Worten. Die nicht ganz so schlauen hauen lieber drauf.  Oder verstärken ihre Argumente sogar mit Waffengewalt. Das begleitet die Menschheit leider auch heute noch.
Kommt es zu einer ernsten Auseinandersetzung, also einem Kampf, dann gewinnt in der Regel der Stärkere. Oder der, der die besseren Waffen dabei hat. Wobei „gewinnen“ häufig bedeutet, dass der Gewinner noch steht und der Besiegte liegt. Im schlimmsten Falle seines Lebens verlustig.

Unsere Kampfkünste sind entstanden, um sich gegen solcherart Grobiane zu wehren. Gerade bei den Kempo- und Karate-Stilen sowie allen Spielarten des asiatischen Waffenkampfes geht es zunächst immer darum, einen an sich überlegenen Gegner zu besiegen. Und da sich im mittelalterlichen Feudalsystem die Machthaber mit Schwert und Hellebarde bewaffneten und allen anderen genau dieses verboten, mussten eben Techniken entwickelt werden, um sich der Willkür zu widersetzen. Zudem mussten sie im geheimen geübt werden. Und Aufzeichnungen durfte es auch nicht geben. Das ist der Grund für die auch heute noch lebendige Tradition, nur den wirklich engsten Schülern, meist aus der eigenen Familie, den kompletten Stil zu lehren.

Im Kampf gibt es keine komplizierten Bewegungen, keine aufwändigen Technikfolgen. Schnelligkeit ist Trumpf, Feinheiten zählen nicht. Wer einen langen Arbeitstag auf dem Feld geschuftet hat, konnte nicht nachts noch ewig trainieren. Zwei oder drei Techniken mussten reichen, die aber dann richtig. Also immer drauf auf die 12. Einfach zu lernende Hebel und Schläge, kombiniert mit den Waffen des Alltags. Unsere Selbstverteidigungs-Techniken spiegeln genau das wieder.

Ich bin übrigens der Meinung, dass Selbstverteidigung (SV) extrem wichtig ist und in den meisten modernen Kampfsportarten viel zu wenig Stellenwert hat. Es gibt sogar Selbstverteidigungskurse für Kampfsportler! Was für ein Quatsch. Was machen die denn in ihrem Training? Und außerdem hat SV auf Turnieren nix verloren, denn hier verkommt es wieder zur einstudierten Show.

Kampfkünste

Das Vorhaben, sich gegen feudale Miesepeter zur Wehr zu setzen, war ziemlich erfolgreich. So erfolgreich, dass die Soldaten und Kämpfer, die ja nichts anderes gemacht hatten als ihr Leben lang zu trainieren und sich in Kampfkünsten zu üben, anfingen, die primitiven Verteidigungstechniken selbst zu erlernen und dann natürlich zu verfeinern. Damit entwickelten diese „Profis“ die vormals lediglich auf Effektivität getrimmten einfachen Techniken zu ausgefeilten Kampfkünsten, die sie zudem kombinierten mit ihren Waffentechniken. Aus dem puren Kampf wurde eine Kunst. Allerdings immer noch darauf bedacht, den Gegner in Windeseile außer Gefecht zu setzen. Im ernsten Gefecht sollten die Techniken möglichst tödlich sein. Fast alle heute bekannten Kata, also die Kämpfe gegen imaginäre Gegner, entstanden durch solche Kampfkünstler. Die einfache Bevölkerung hatte für ausgefeilte Kampfsysteme gar keine Zeit. Schrittfolgen, Blocktechniken, komplexe Bewegungsfolgen, Druckpunkte – all das wurde von professionellen Kämpfern entwickelt, geformt und weitergegeben. Das Märchen von der Kampfkunst als Entwicklung aus reiner Selbstverteidigung armer Bauern ist meiner Meinung nach genau das: ein Märchen.

Genau solch ein Märchen ist der ganze Hype um die Shaolin Mönche und ihre Klöster. Damit will ich den kahlrasierten Herren auf keinen Fall ihre verblüffenden Fähigkeiten in Abrede stellen oder die historische Tatsache, dass solche Klöster existierten und dass sie ein Zentrum ganz erlesener Kampfkunst waren. Doch es gab eben noch viel mehr Damen und Herren, die von Berufs oder von Berufung wegen ziemlich was auf dem Kasten hatten, wenn es um die Handkante ging. Es ist meiner Meinung nach überhaupt nicht nötig, seine eigene Geschichte permanent auf Teufel komm raus in Verbindung bringen zu wollen mit den Shaolin. Leider wird dieser Quark auch im Shaolin Kempo gern und unausrottbar hoch und runter gebetet. Der Fluch der Namensgebung unserer holländischen Stilgründer …

Kampfkunst betreibt der, der über die sportlichen Aspekte hinaus versucht, tiefer zu dringen in die Materie seines Stils. Das ist meine eigene Interpretation. Daher kann es durchaus auch Kampfkunst sein, sich theoretisches Wissen anzueignen. Aber ohne Schweiß wird es nicht klappen, gleichwohl es auch für diese Experten genug Beispiele gibt. Ich muss immer spüren, was ich an neuen Dingen erfahre und erfühle. Bewegungsprinzipien entdecken und erfahren, neue Stile kennenlernen und mit dem eigenen vergleichen, sich perfektionieren in seinem Tun und möglichst effektiver und damit im wahrsten Sinne gefährlicher werden … das alles ist Kampfkunst. Und das alles ist unabhängig vom Alter des Kampfkünstlers. Gott sei Dank! 🙂

Kampfsport

Um die Jahrhundertwende des letzten Jahrhunderts drängte die moderne Zeit mit aller Macht in die asiatischen Staaten. Das hatte massive Auswirkungen, nicht nur im Bereich der Waffentechnologie. In Japan verloren die Samurai ihre angestammten Rechte. Und einige Jahre später musste der chinesische Kaiser abdanken. Schusswaffen ersetzten Pfeil, Bogen und Schwerter. Maschinengewehre, gepanzerte Wagen und Kanonen waren die neuen militärischen Lieblingsspielzeuge der Herrschenden. Für alle, die dagegen ankämpften, ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen.

Das ging so flott, dass tausende von ehemals hochangesehenen Kämpfern auf einmal mit leeren Händen dastanden. Ihre Fähigkeiten waren nicht mehr gefragt. Das betraf Japaner genauso wie Chinesen. Die Kampfkünste verloren dramatisch an Ansehen, viele Stile gerieten in Vergessenheit. Doch einige Meister bewahrten ihr kulturelles Erbe. Sie transformierten die Kampfkünste und begannen, sie als eine Art Sport und Lebenseinstellung zu lehren. Die ehemals tödlichen Künste wurden entschärft und mit Regeln versehen, um einen sportlichen Wettkampf zu ermöglichen. Es ist nicht ohne Ironie, dass wenige Jahrzehnte später gerade die Japaner die Kampfkünste wieder belebten, um die Soldaten ihrer nationalistischen Armee möglichst schnell auf Vordermann zu bringen. Doch das hatte mit den Fähigkeiten der Samurai dann nichts mehr zu tun.

Der bekannteste „Entschärfer“ war der Begründer des modernen Judo, Jigoro Kano. Gichin Funakoshi, der als Vater des modernen Karate gilt, war dagegen eher ein Verfechter der althergebrachten Methode der kriegerischen Auseinandersetzung. Erst seine Nachfolger entwickelten das Shotokan-Karate zu dem sportlich orientierten Stil, der es weltweit so erfolgreich, aber auch so reduziert auf nur wenige Aspekte macht.

Kampfsport ist eine prima Möglichkeit, um sich mit anderen zu messen, fit zu bleiben und sich körperlich weiterzuentwickeln. Wer Glück hat, trainiert bei einem richtigen Sensei, der nicht nur auf sportliche Fähigkeiten setzt, sondern auch ganz nebenbei etwas vom wahren Geist der Kampfkunst mit einfließen lässt. Und der sportliche Vergleich, das Messen mit anderen, ist wohl eine urmenschliche Eigenschaft.

Der Weg der Faust

Man sollte meiner Meinung nach nur nicht beide Dinge vermischen. Und genau das passiert leider permanent, wenigstens rund um mich rum. Permanent werde auch ich gefragt, welches Kampfkunst denn bitte schön die effektivste sei. Ob man nicht viel besser auf Krav Maga, Systema oder MMA setzen sollte, wenn man sich ernsthaft verteidigen will. Wirkliche Könner und Meister hinterfragen ihr Tun übrigens nicht. Sie wissen, dass es von der eigenen Interpretation abhängt, ob Faust oder Fuß zur Waffe oder zum Sportgerät werden. Es gibt eine Menge Kickboxer, denen ich meine Birne nicht im ernsten Gefecht hinhalten wollte. Und es gibt etliche selbsternannte SV-Experten, die zwar im Internet und mit dem Mund ganz groß sind, aber eigenartigerweise nie Zeit haben, um ins Dojo zu kommen. 🙂

Sport hat Regeln, der Kampf nicht. Der Silat-Stil, den ich zu meistern versuche, kennt keine Wettkämpfe und kein Fair Play. Der kennt zum Beispiel auch keine Hebel. Gelenke werden, wenn sie blockiert sind, gebrochen. Es wird also durchgezogen. Im Training natürlich nicht, sonst gäbe es nur ganz wenige Aktive. Aber das ist dann Rücksichtnahme und keine Regel. Entsprechend deftig geht es zur Sache.
Im Shaolin Kempo gibt es zahlreiche Wettkämpfe, und das Training darauf hin macht Spaß und verbessert die eigenen Fähigkeiten. Mir macht beides Spaß. Und ich definiere für mich, wann ich Sport mache und wann es um die Wurst geht.

 

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