Die erste Tai Tsuku öffnet das Tor zum Shaolin Kempo, jedenfalls nach meiner Interpretation. In dem Stil, den ich unterrichte, gibt es fünf Tai Tsuku, sechs Sifat (die eigentlich eine lange, zusammenhängende Form sind) und fünf Kempo-Formen (die häufig auch als Meisterformen bezeichnet werden).
Die erste Tai Tsuku wird zum Gelbgurt verlangt. Nach wie vor und immer mehr ist sie eine meiner Lieblingskata, denn sie bin ich am häufigsten gelaufen und habe all meine Veränderungen, die mein Kempo im Laufe der Jahre erfahren hat, mit ihr geteilt und an ihr ausprobiert. Insofern gibt es keine „endgültige Kata“, keine fertige Form, denn immer ist sie ein Ausdruck meines Verständnisses meiner Kampfkunst.
Die Herkunft der Tai Tsuku ist nicht klar. Im Shorin Kempo Ryu von Olaf Bock gibt es die Tasi Yoko, ebenfalls eine der Shaolin Kempo Formen. Die wird in Einzelteile untergliedert und geübt, bis sie zur fertigen Komplettform wird. Doch speziell unsere vierte Tai Tsuku lehnt sich ganz offensichtlich an die Ch’uan Fa an, also an eine andere der Shaolin Kempo Formen. Meine Vermutung ist, dass sich die Tai Tsuku aus Bruchstücken verschiedener Formen und verschiedener Wissensstände zusammensetzen. Typisch für das Shaolin Kempo :-).
Ist mir aber egal, denn die Tai Tsuku sind feste und sehr schöne Bestandteile des Lung Chuan Fa-Stils. Und jede von ihnen vermittelt auch Bewegungs- und Kampfprinzipien und hat daher auch didaktisch ihre Berechtigung.
Die erste Tai Tsuku besteht aus 14 aufeinanderfolgenden Ständen mit Fausttechniken, ist also eher eine kurze Kata. In meiner ersten Kempo-Phase habe ich versucht, sie exakt, hart und möglichst kraftvoll auszuführen. Je härter ich in den Stellungen arretiert habe, desto mehr „Kime“, also Kampfgeist und Power, wurden mir attestiert. Die Standhöhen haben sich nahezu nicht verändert. Der imaginäre Gegner wurde mit geraden, fast linearen Bewegungen „abgeschossen“, die Stände wurden möglichst tief ausgeführt.
Nachdem ich das Prinzip der „vibrierenden Hüfte“ kennengelernt habe, also der horizontalen Rotation der Hüfte, um mehr Spannung und damit mehr Schlagkraft zu erreichen, wurde die erste Tai Tsuku noch kräftiger. In der Zeit habe ich auch begonnen, Blöcke als Möglichkeit zum Schlag zu begreifen. Ein Age Uke kann zum Beispiel auch ein wuchtiger Unterarmstoß in die Achselhöhle oder unter das Kinn sein.
Mit dem Kennenlernen des Silat, von Niki und später von Olaf Bock veränderte sich meine Sicht auf die erste Tai Tsuku noch einmal wesentlich. Jetzt zählen nicht mehr die Endstände, sondern die Bewegung dahin. Neben der horizontalen Hüftbewegung gewinnt jetzt auch eine vertikale Wellenbewegung durch den Körper an Wichtigkeit. Geschmeidigkeit und wechselnde Standhöhen sind wichtig. Die Schläge kommen nicht mehr alle möglichst gerade, sondern ab und zu auch in Auf- oder Abwärtsbewegung ins Ziel. Im echten Kampf erreicht man so einen deutlich härteren, schmerzhafteren Treffer.
Mittlerweile ist es auch nicht mehr so wichtig, möglichst tief zu stehen. Zum einen hat das mit dem Älterwerden zu tun, da die Athletik einfach abnimmt. Zum anderen wird aber so auch nicht „gekämpft“. Und letztlich ist jede Kata, also auch die 1. Tai Tsuku, ein Schattenkampf gegen imaginäre Gegner. Wer kämpft, steht nicht maximal tief, sonst kommt er schlecht vom Fleck weg. Und gesünder für die Knie ist das sowieso.
Durch all diese Entwicklungen hat mich „meine“ erste Tai Tsuku mit ihren wenigen Einzeltechniken und überschaubarem Schrittdiagramm begleitet. Und sie wird wohl immer auch ein Gradmesser meiner persönlichen Entwicklung in den Kampfkünsten bleiben. Das Urmeter der Kata sozusagen. 🙂