Die folgenden Zeilen sind mal wieder eine ganz persönliche Betrachtung der Kempo-Szene rund um mich herum. Wer hier regelmäßig mitliest, der weiß, dass der Budo SV Kalletal, in dem ich trainiere, Mitglied in zwei Verbänden ist. Zum einen ist dies der Seibukan-Verband, unter dessen Dach sich die meisten der hier ansässigen Kempo-Vereine versammelt haben. Da der Seibukan stiloffen ist und keine Mitgliedsbeiträge erhebt, tummeln sich hier auch Jiu Jitsuka, Karateka und sogar eine Arnis-Schule. Die allermeisten Vereine widmen sich allerdings dem Kempo in seinen verschiedenen Ausprägungen. Jährlich finden mehrere regionale Meisterschaften statt, teils mit beachtlichem Starterfeld und weiten Anreisen.
Der Umgang untereinander ist herzlich und frei von großen Rivalitäten, da keine finanziellen Interessen einem Miteinander im Wege stehen. Der Mann, der den Verband seit vielen Jahren erfolgreich inspiriert und führt, ist Andreas Brechmann (ein Interview mit „Mr. Seibukan“ könnt Ihr hier lesen). Strukturen und Organisation passen genau zu der Kempo-Szene Ostwestfalens mit seinen vielen, eher kleinen Vereinen, in denen kommerzielle Dojos sehr rar gesät sind.
Ein Verband zum Wohlfühlen. Zwei- oder dreimal im Jahr trifft man sich auf den eigenen Turnieren, besucht vielleicht sogar mal eine der meist halbjährlich stattfindenden Zentralprüfungen oder sich gegenseitig beim Training – für die meisten der heimatverbundenen Ostwestfalen ist das perfekt.
Abenteuer DKV
Ich war schon länger neugierig auf die „große Bühne“ des Deutschen Karate Verbandes DKV. Und nach einer Einladung zu einem Lehrgang in das benachbarte Dörentrup, rund 15 nahe Kilometer von uns, verstärkte sich diese Neugierde noch. Der dortige Cheftrainer Andreas warb für den Aufbau einer funktionierenden Kempo-Stilrichtung im größten deutschen Karate-Verband. Der ist untergliedert in diverse Stilrichtungen, maßgeblich Shotokan, will aber auch Heim und Platz für 21 andere Ausprägungen von Hauen und Treten sein.
Für mich ein ganz unschlagbares Argument für einen Beitritt war die Möglichkeit, den Trainer-Schein, also Übungsleiter C im Breitensport, hier offiziell und unter lauter Karate-Kollegen machen zu können. Zudem gefiel mir die Idee, im Landesverband Nordrhein-Westfalen eine funktionierende Sparte Shaolin Kempo mit aufzubauen. Und die, allerdings noch ferne Aussicht, dass meine Schüler bei Lust und Laune auch auf „großen“ Turnieren starten könnten, war ebenfalls verlockend. Von unserer Vereinsleitung bekam ich auch schnell grünes Licht für die Kontaktaufnahme mit den zuständigen Experten.
Wie schon hier beschrieben, folgte dann zügig die Kontaktaufnahme zum Prüferreferenten des Shaolin Kempo im DKV, nämlich Klaus Rennwanz. Der sympathische Hüne besuchte uns relativ zeitnah, um sich den Verein und die Aktiven einmal anzuschauen. Der Grund für diese vorsichtige erste Kontaktaufnahme: Klaus wollte zunächst einmal schauen, ob wir eine Truppe von hochgejubelten Phantasie-DAN-Trägern sind oder ernsthaft Kampfkunst betreiben. Denn gerade beim Shaolin Kempo tummeln sich leider etliche Selbstdarsteller, die die gesamte Stilrichtung nachhaltig schädigen und auch jede DAN-Graduierung ad absurdum führen.
Nach erfolgreicher Sichtung folgte dann die Einstufung, also die Einordnung und Bestätigung der bestehenden Kyu- und DAN-Grade. Ungefähr zu dieser Zeit begann der bis dato so zugewandte Kollege aus Dörentrup allerdings damit, gegen Klaus Rennwanz zu agitieren. Für mich verwirrend, denn ich hatte den Prüferreferenten aus Sigmaringen nur als positiv Verrückten im Kempo-Sinne kennengelernt. Meine Versuche, abzuwiegeln und sich aus diesen Unstimmigkeiten herauszuhalten, führten aber nur zu noch mehr Mailverkehr und Telefonaten und Aufforderungen, etwas gegen „diese undemokratischen Prozesse“ zu unternehmen. Als der Dörentruper Kollege mich dann telefonisch aufforderte, doch auch die gerade im Entstehen befindliche Kempo-Sparte zu verlassen, um in die Sparte „Stiloffenes Karate“ des Landesverbandes zu wechseln, war es für mich dann genug der regionalen Nettigkeiten. Immerhin hatte genau dieser Zeitgenosse mich doch davon überzeugt, der Stilrichtung Kempo im DKV erst beizutreten – ein nicht ganz preiswertes Unterfangen übrigens, denn die Konditionen des DKV sind happig.
Kompetenz NRW
Mittlerweile hatte ich die beiden Trainer des Kempovereins Wesel-Büderich kennen- und schätzengelernt, Manfred Inoue und Joachim Hölscher. Die beiden „Kempo-Mönche“ vom Niederrhein hatten von den merkwürdigen Umtrieben von Andreas ebenfalls die Nase voll und solidarisierten sich mit Klaus Rennwanz und der bestehenden DKV-Kempo-Sparte. Prominenter Fürsprecher für den Dörentruper Kempoka war und ist allerdings ein Shotokan-Urgestein im nordrheinwestfälischen Landesverband, der Lemgoer Stefan K.. Warum, ist mir bis heute ein Rätsel, denn die Zwergensparte Shaolin Kempo im großen Landesverband KDNW hat sich mittlerweile längst distanziert vom Spaltpilz aus Dörentrup, hat Joachim Hölscher zum Stilrichtungsreferenten im nordrheinwestfälischen Karateverband gewählt und versucht stetig, der kleinen Stilrichtung Shaolin Kempo eine Stimme zu geben.
Unterdessen habe ich meinen zweiten DAN unter DKV-Richtlinien absolviert, meine Übungsleiterlizenz beim DKV verlängert und erste Seminare mitgemacht. Und vor allem über den Tellerrand des Shaolin Kempo schauen dürfen und viele nette und sehr kompetente Sportler und Kampfkünstler kennenlernen können. Also zahlt sich die teure Mitgliedschaft im DKV für unsere Sparte im Budo SV Kalletal und mich persönlich aus. Noch. Denn noch immer sperrt sich der Karate-Dachverband Nordrhein-Westfalen, unsere Mini-Stilrichtung in seiner jetzigen Zusammensetzung zu akzeptieren. Selbst die avisierte DAN-Prüfung meines Schülers Andreas ist, Corona-bedingt verschoben, in Sachen Anerkennung noch nicht komplett durch, denn der Shotokan-gelenkte Landesverband ist der Meinung, Manfred und Joachim (beide 4. DAN) ihre A-Prüfer-Lizenz, die sie zur Abnahme von DAN-Prüfungen berechtigt, nicht erteilen zu müssen. Angesichts der Kompetenz der beiden, die über Jahrzehnte im Shaolin Kempo maßgeblich aktiv sind, eigentlich ein Unding.
Momentan lädt der Landesverband KDNW leider nicht zu einer Teilnahme an seinen Aktivitäten ein. Ist es Arroganz, die den zahlenmäßig so weit überlegenen Shotokan-Vertretern immer wieder nachgesagt wird? Betrachte ich ihr Verständnis und ihre häufig eher durchschnittlichen Fähigkeiten in Sachen Kampfkunst, gäbe es aus meiner Sicht dafür jedenfalls keinen Anlass. Oder ist es die Angst vor einer lebendigen Stilrichtung? Speziell in Nordrhein-Westfalen gibt es tausende von Kempoka, die zumeist im Deutschen Wushu-Bund oder im Seibukan in Ostwestfalen organisiert oder in anderen Verbänden beheimatet sind. Oder sind es die im Kempo leider öfter anzutreffenden halbseidenen 10. DAN, die den streng reglementierten Verbandskollegen vom DKV die Haare zu Berge stehen lassen? Nicht ganz unberechtigt, daher stufen Klaus Rennwanz und die Landesreferenten ihre Kandidaten vor dem Eintritt in den DKV ja auch so sorgfältig ein.
Wenn ich eines nicht zum Leben brauche, dann ist es Verbands-Hickhack. Das hilft mir und meinen Schülern im Kempo überhaupt nicht weiter. Insofern bin ich sehr froh und glücklich über unsere Möglichkeiten, hier ins kleine Kalletal Großmeister aus dem Kobudo einzuladen, den Austausch mit meinen Silat-Freunden lebendig zu gestalten, eigene Sommer-Trainings durchzuführen und Teil der Kempo-Familie zu sein, ob in Ostwestfalen, bei meinem Sensei Olaf Bock oder überall, wo mich meine Wege hinführen. Mal schauen, ob es nicht auch im DKV ein Miteinander ohne Gezänk, Intrigen und Eitelkeiten gibt … Ich halte Euch auf dem Laufenden!