Mit dem Tonfa ran an den Speck! Weihnachtszeit und Jahreswechsel hatten für reichlich zusätzliches Hüftpolster gesorgt. Da traf es sich doch bestens, dass Ende Januar der fünfte Teil der Reise durch die Welt des originalen Kobudo anstand. Also ab nach Nordhausen zu Sensei Pelny und seiner Truppe.
Natürlich nahm die Beschäftigung mit der Hauptwaffe des Tesshinkan, dem Bo, wieder einen Großteil der Zeit ein. Neben der Wiederholung der bekannten Techniken kamen vor allem die letzten fehlenden Teile der Basis-Abläufe, des Bo-Kihon, und die dazu passenden Partnerübungen an die Reihe. Insgesamt zehn Bo-Kihon kennt das Tesshinkan. Gelaufen werden alle jeweils zehnmal rechts und zehnmal links. Das reicht für den einen oder anderen Schweißtropfen, hechelnden Atem und ein stetes Abschmelzen der Hüftrollen. Und ein Stündchen oder mehr ist dabei ruckzuck weg.
Da hatten Andreas und ich tatsächlich ziemlich fleißig geübt und kamen auch ganz gut mit. Doch die Experten aus Nordhausen fanden doch immer wieder Fehler, korrigierten vermeintliche Feinheiten, die einem im späteren Kobudo-Leben ganz schnell das selbige schwer machen können. Richtige Handhaltung, Ellbogen nah am Körper, den Kopf hoch, die Füße in der richtigen Position, die Hüfte am Rotieren oder eben nicht, dazu noch die Stockführung selber – im Zusammenspiel liegt das Geheimnis. Allmählich kratze ich aber an der einen oder anderen Passage, die ganz gut abläuft.
Nächstes Thema: Kata. Und tatsächlich und hurra, jetzt wird allmählich ein Schuh draus. Der grundsätzliche Bewegungsablauf der Shushi No Kun Sho sitzt. Doch genau wie beim Kempo fängt jetzt die Arbeit erst richtig an. Mir persönlich macht es ab diesem Stadium aber am meisten Spaß, denn an einer Kata kann man monate- und jahrelang arbeiten und feilen. Perfekt laufen wird man sie nie, aber sich immer weiter in die Bewegungen eindenken und immer mehr davon verstehen. Und genau darum geht es bei dieser ganz speziellen Art der asiatischen Lehrmethode – um den Zugang zur eigentlichen Technik, die sich im Ablauf versteckt und der Schlüssel ist, diese Technik dann auch in der freien Bewegung, im Kampf, anzuwenden.
Nach der obligatorischen kurzen Mittagspause wurden die Tonfa in die Hand genommen. Oder die Tunfa, wie Meister Frank sie in Anlehnung an die okinawanische Sprache nennt. Oder Tongwa. Klingt alles ähnlich und meint das gleiche: Eine der ganz klassischen Kobudo-Waffen aus Okinawa. Die es so allerdings auch in China gibt und die mittlerweile ihren Siegeszug bis an die Hüften deutscher Polizisten angetreten hat, wo sie sich Mehrzweckeinsatzstock nennt. Tonfa oder Tunfa klingt allerdings besser. Die Herkunft ist, wie so häufig, umstritten. Im Tesshinkan geht man davon aus, dass sie aus Handgriffen für Mühlsteine entwickelt wurden. Es gab wohl früher überall in Asien kleine Hausmühlen für den Reis.
Tonfa sind im Kobudo meist Paar-Waffen. Und eigentlich genial einfach zu bedienende Dinger. Man nimmt sie in die Hand und kann sofort loslegen. Stoßen und schlagen, blocken und kontern – zunächst verstärken Tonfa vor allem die gewohnten Techniken. Man mag sich kaum vorstellen, was mit einem Unterarmknochen passiert, wenn ein Oi Tsui mit ’nem Soto Uke hart abgewehrt wird …
Speziell wird es, wenn waffentypische Elemente ins Spiel kommen. So kann eine Tonfa an ihrem Griff gedreht werden, so dass das längere Ende blitzartig und rotierend nach vorn schnellt. Das erhöht die Reichweite enorm und für unvorbereitete Gegner sehr überraschend.
Dann kann die Tonfa mit einem einfachen Griffwechsel an ihrem langen Ende gepackt werden, so dass der Griff einen Haken bildet, mit dem man sich Gegner oder gegnerische Waffe vorzüglich „angeln“ kann. Und da die Waffe damit einen Schwerpunkt hat, der deutlich nach vorn verlagert ist, sind auch Schläge mit dem Griff ziemlich beeindruckend …
Sensei Frank ließ uns denn auch reichlich wirbeln, Griffe wechseln und den Partner mit den verschiedenen Ende der Tonfa malträtieren. Andreas besitzt hier natürlich gewisse Vorkenntnisse aufgrund seiner Kenntnisse bei der russischen Ordnungsmacht. Doch auch mir machte die Tonfa wirklich Spaß. Vor allem, als es an die obligatorische erste Tonfa-Form ging. Wie bei jeder Waffe, die Frank Pelny in seinem Kobudo-Lehrgang vorstellt, ist auch hier nach Grundübungen und Anwendungen die erste Kata dran, die Hama Higa no Tunfa.
Natürlich wurden, wie immer im Seminar, nicht einfach nur die Bewegungen gezeigt und gelehrt, sondern auch die passenden und erklärenden Partnerübungen. Tonfa sind genial, wenn etwa ein Bo abgewehrt werden soll. Kein Wunder, dass sich genau solche Kihon in reichlicher Zahl in der Tesshinkan-Schule finden. Und natürlich ließ es sich Sensei Frank als Lehrmeister des SaCO-Systems nicht nehmen, auch die klassischen Selbstverteidigungstechniken gegen waffenlose Angreifer zu zeigen. Aua! Damit ausgeführte Hebel und Würger sind extrem effektiv. Und meist auch ganz schnell ganz schmerzhaft! Kein Wunder, dass unsere Gendarmerie das Ding so gern spazieren trägt …
Gewöhnt man sich an Frank Pelnys Training? Kaum vorstellbar, bei nur einem Termin im Monat. Oder war ich fitter? Fast noch schwerer vorzustellen! 🙂 Auf jeden Fall verging die Zeit wie im Fluge, und anders als sonst war ich nicht völlig im Eimer, als wir gegen 17 Uhr abgrüßten. Der Lehrgang war fast vorüber, nur noch ein Termin stand an!
NACHTRAG:
Von wegen, „nur noch ein Termin“. 2015 lässt sich gut an, die Grippe hat mich weggebeamt. Den letzten Termin musste ich kurzfristig absagen. Keine Wiederholung, keine Prüfung (die hätte nämlich angestanden) und auch keinen Spaß mit den anderen Kobudo-Fans aus und rund um Nordhausen.
Doch von Frank Pelny und „seinem“ Kobudo werden weder Andreas noch ich die Finger lassen. Zum einen haben wir es geschafft, mit Meister Pelny einen Termin im Kalletal zu vereinbaren. Spätestens im Mai sehen wir uns also in heimischen Hallen wieder, Termin ist am 30. Mai. Und ganz fest vor haben wir, beim nächsten Lehrgang wieder dabei zu sein. Sechsmal Nordhausen und zurück, herrlich!