Unser Eintritt in den Deutschen Karate Verband verlief ein wenig holprig, da zunächst von kleinlichen Eitelkeiten eines lokalen Funktionsträgers beeinflusst. Doch mittlerweile sind wir voll dabei. Und daher freute ich mich besonders auf die Teilnahme an einem vierteiligen Seminar mit dem Titel „Ausbildung zum Karatelehrer I“. Doch es sollte ganz anders kommen …
Der Deutsche Karate Verband DKV ist der bei weitem größte Kampfsport-Verband in Deutschland mit mehr als 160.000 Aktiven. Und das jährlich ausgetragene vierteilige Seminar „Ausbildung zum Karatelehrer I“ gehört laut Aussage von Verband und Aktiven zu einem der begehrtesten und höchstrangigen Seminare innerhalb dieses Verbandes. Das Programm liest sich auch sehr spannend. In vier Wochenenden werden, aufgeteilt nach den Elementen Erde, Wasser, Feuer und Geist, diverse spannende Themen behandelt. Vor allem kommen etliche hochrangige Vertreter verschiedener Stilrichtungen und Kampfkünste ins Seminar und geben ihr Wissen weiter, von (natürlich) Shotokan, über Kyusho, Goju-Ryu, Yoga, Wing Chun, Escrima bis zu Kobudo, Jiu Jitsu und weiteren. Teilnehmen konnten alle DKV-ler ab 1. DAN.
Shaolin-Mönch dabei
Als ich hörte, dass mein Kempo-Kumpel Joachim aus Wesel mit dabei sei, war die Vorfreude noch größer, denn der Kempoka vom Niederrhein ist nicht nur eine Frohnatur, sondern auch ein echter Fachmann für Shaolin Kempo mit mehr als 40 Jahren Kempo-Erfahrung auf seinem asketischen Buckel. Außerdem ist er Stilrichtungsreferent unserer kleinen Richtung im DKV. Und einer der beiden legendären Shaolin-Mönche vom Niederrhein, wie er und sein kongenialer Partner Manni auch genannt werden.
Lange Rede, kurzer Sinn: Wir meldeten uns an und sausten am letzten Februar-Wochenende nach Maintal bei Frankfurt. Nicht gerade um die Ecke – aber was tut man nicht alles, um Neues zu lernen! 🙂
Der Seminarleiter, Dr. Axel Binhack, begrüßte neben uns rund 25 weitere Aktive aus dem ganzen Bundesgebiet, von Bayern bis Berlin und Hamburg. Allesamt DAN-Träger, viele 2. DAN oder höher. Die meisten waren Shotokan-Vertreter, einige wenige gehörten der Goju-Ryu-Stilrichtung an, und irgendwo gab es auch einen Shito-Ryu-Vertreter. Natürlich waren wir die einzigen Kempoka. Axel Binhack leitet die Seminarreihe, die er selber ins Leben gerufen hat, seit mittlerweile 21 Jahren. Der Austausch untereinander und mit anderen Kampfsportarten ist ihr Zweck. Aufgebaut ist sie, wie oben geschildert, nach den vier Elementen. Axel erklärte uns zunächst, warum er dieser Aufteilung folgt, was es damit auf sich hat und welche gedanklichen Grundlagen dahinter stehen. Okay, hörte sich zunächst ein wenig trocken an. Leider fielen an diesem ersten Wochenende zwei Referenten wegen Krankheit aus, so dass sowohl Yoga am ersten Tag als auch Physiotherapie am zweiten ausfallen mussten.
Dann ging es in die Halle. Wow, hier, beim Budokan Maintal, gibt es eine extra Budohalle mit fest verlegter riesiger Mattenfläche. Beeindruckend. Kurze Aufwärmeinheit, dann ging es los mit der Praxis. Naja, zunächst einmal mit Bewegungsfolgen aus einer Shotokan-Kata, anhand derer Axel, selbst Träger des 6. DAN, die verschiedenen Prinzipien von Erde, Wasser, Feuer und Luft zu erklären versuchte. Hm, kann man so machen. Aber da ich extra vorher gefragt hatte, ob der Lehrgang nur für Shotokan-Karateka sei, hoffte ich nach der ersten Einführung auf dann folgende Stil-unabhängige Beispiele.
Jiu Jitsu für Einsteiger
Der Vormittag ging flott rum, nach der Mittagspause folgte eine weitere Theorieeinheit, die ich allerdings als wenig inspirierend empfand. Naja, vielleicht bin ich ja dem eurasischen Elementecocktail noch später zugetan. Danach ging es wieder in besagte Halle, ich freute mich auf ’ne flotte Runde Jiu-Jitsu. Der Referent Stephan Wolf ist ein alter Haudegen, der die Seminarreihe schon seit Beginn begleitet. Der 7. DAN hatte einen top Athleten aus eigener Schule dabei, der ihm als Partner und Co-Referent zur Seite stand. Die beiden waren auch sehr gut. Doch was sie zeigten, war denn doch etwas wenig. Ehrlich? Simple Fallschule? Und schon da standen die meisten Karateka staunend daneben. Kommentare wie „also, ich fall ja nicht gerne“ kamen. Hat man in der Ausführung dann auch gesehen. Doch Kampfkunst ohne Fallen? Und dann die Meid- und Hebeltechniken! Ich kann Handgelenks-Kipphebel oder Z-Hebel nicht mehr ausstehen, wenn sie Teil eines Seminars sind. Das bekommen selbst die viel zitierten dicken alten Kempoka hin. Und hier eine Halle voll von meist aktiven Karate-Trainern, von denen die meisten offensichtlich noch nie an dem Thema dran waren.
Leider setzte sich das jetzt so fort. Eine ewige Wackelei bei den folgenden zwei oder drei Basiswürfen. Kein Stand, keine Körpermitte – die Referenten hatten gar keine Chance, mehr aus ihrem Repertoire zu unterrichten, da schon die Basics die Teilnehmer vor echte Herausforderungen stellten. Joachim und ich machten das beste draus und begannen, unser eigenes Ding zu üben und die verschiedenen Techniken mit passenden Standhöhen oder Folgebewegungen zu würzen. Schnell waren wir nicht nur unserer schwarzen Anzüge wegen Exoten. Im Anschluss hatten wir dann noch 15 Minuten für uns, die Joachim mir die Meisterformen des Kempo zeigte. Mein Highlight des Wochenendes!
Hm. Das Abendessen und das Bett waren dann okay.
Shotokan, was bist Du?
Der zweite Tag knüpfte fast nahtlos an den ersten an. Kyusho bei Achim Keller (8. DAN Shotokan und Kyusho-Experte) sollte vermittelt werden. Doch zunächst wurde die Kata „Matsumura Passai in der vermutlich ältesten erhaltenen Variante“ gezeigt und „gelehrt“. Da ich weder die aktuelle noch die alte Form dieser im Shotokan bekannten Kata kenne, waren die folgenden anderthalb Stunden für mich maximal uninteressant. Aber zugegeben: Die Form sah klasse aus. Und viele der Aktiven waren auch in der Lage, hier zu folgen. Eben die Shotokan-Leute. Neben uns verzogen auch einige sympathische Goju-Ryu-Karateka aus Münster das Gesicht und stümperten mit uns durch die Bewegungen. Eigentlich hätte ich jetzt schon gern aufgehört und nur noch Fotos gemacht. Aber gemach, vielleicht kam ja noch was.
Abgehakt, jetzt war Kyusho dran. Was das mit der uralten Kata zu tun hatte? Oder irgendwelchen Elementen, ob eurasisch oder nicht? Nix. Was der Kyusho-Meister dann aber zeigte, waren Angriffspunkte, mit denen ich in meinem Training maximal 14jährige erschrecken kann. Da sie für die Kollegen in den weißen Anzügen aber vielfach trotzdem brandneu waren, wurden sie mit wechselnden Partnern geübt. Wir hielten uns an die Goju-Ryu-Kollegen und kriegten auch diesen Part rum.
Aber ist „rum kriegen“ Sinn und Zweck von einem zweitägigen Seminar, das nicht ganz preiswert und sehr zeitaufwändig ist? Schon während des zweiten Tages kam mir der Gedanke, dass ich eigentlich komplett fehl am Platze war. Nicht, weil ich selber so ein Top-Athlet bin oder die anderen Shotokan-Karateka so schlecht. Aber offensichtlich ist die sportorientierte Ausbildung zum Shotokan DAN-Träger so komplett anders, dass sie mit dem (mit meinem) Shaolin Kempo nicht mehr kompatibel ist. Ich bin mir sicher, dass etliche richtig gute Sportler mit mir in der Halle waren. Nur gezeigt haben es die wenigsten. All die Dinge, die ich erwartet habe, also vertieften Input bei der Körperarbeit, neue Einblicke in Bewegungsprinzipien und ein Austausch der verschiedenen Stile auf Augenhöhe, fanden nicht statt. Was sollen mir die anderen Referenten zeigen, wenn den meisten Teilnehmern schon Basistechniken eine Herausforderung waren? Ich habe Escrima mit Tuhon Kit Acenas trainiert, Wing Chun mit Sifu Jefferson, Silat mit der Faustwerkstatt und auch bei Maul Mornie, Kobudo bei Frank Pelny. Aber immer in deren Gruppen, mit lauter Cracks und Experten, unter denen ich der Dussel war. Hier fühlte ich mich aber wie der Einäugige unter Blinden. Nachdenklich verließ ich die Halle.
Abbruch
Auf dem langen Weg nach Hause reifte dann der Entschluss, das Seminar abzubrechen. Ich war auf so vielen Lehrgängen, und irgendetwas konnte ich immer mitnehmen, eine Bewegung, eine Technik, eine Einstellung, irgendwas. Dieses Wochenende aber habe ich nur mitgenommen, dass sich Shaolin Kempo und Shotokan auf diesem Niveau nicht vertragen. An den Referenten hat’s mit Sicherheit nicht gelegen, wohl an meinen falschen Erwartungen.
Ein zu hartes Urteil? Ich hoffe ja. Ich hoffe, dass die nächsten Miteinander mit Shotokan-Karateka mir zeigen, dass meine Einschätzung ganz falsch ist. Bis dahin übe ich mich weiter im Shaolin Kempo und den Prinzipien dahinter. 🙂
6 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Das spiegelt exakt auch meine Erfahrungen mit dem „Karate“. Das Thema „Über den eigenen Tellerand schauen“ sollte für DAN-Träger Pflichtprogramm sein, ansonsten ist das da das Ergebnis 🙂 Doch das muss jeder Einzelne selbst merken. Viel Erfolg bei den nächsten Seminaren.
Hallo Lutz, deine Erfahrungen habe ich bereits auch gemacht. Was die Karatekas in Shotokan (aber auch anderen Stilrichtungen) sehr gut können, ist die Grundschule. Kihon ist dort das A und O (zumindest dort, wo ich trainiert habe). Wenn es aber um flexible Anwendung der Grundschultechniken, Kombinationen von mehr als drei davon (Bspw. die achte Verteidigung) geht, dann machen die Karatekas riesen Augen, wenn du etwas vorführst. Leider gibt es zahlreiche Karatevereine, die Karate bis auf das Sportkarate runter reduziert haben. Sie können super toll die Katas auf einem Turnier laufen und diesen Eiertanz vorführen, welches sie Kumite nennen mehr aber auch nicht. Das ist aber auch logisch, denn sportliche Erfolge bedeuten auch Geld und Ansehen. Karate wird jetzt olympisch, da brauche ich glaube nicht mehr weiter ausführen in welche Richtung es weiter geht…
Ich hoffe wir sehen uns bald wieder LG Eugen
Reiner Adams: Du bist halt Kempô verseucht 😀 Da wird es schon mal echt „schwierig“ um es mal ganz vorsichtig auszudrücken ?
エヴェ リン: Du urteilst nicht zu hart… leider? Leider findest Du auf den meisten Lehrgängen Basics und Basics und Wettkampf-/Sportkarate. Es gibt nur wenige Karateka, die Shotokan Ryu als Stiloffene Variante unterrichten, mit Hebeln und Würfen. Manche verkaufen dieses andere noch als SV und Bunkai. Wobei SV, als Anwendung von Kata bei manchen wieder in den Basics verre… Neee, ich höre lieber auf zu schreiben…. ist zu traurig wie sich das entwickelt hat.
Mareike Decker: Da weiß man kaum, ob man Daumen hoch oder den traurigen Smiley klicken soll… Klasse Bericht – sehr schade, dass es so gelaufen ist. Aber ich bin mir sicher, die „schwarzen Schafe“ haben mal wieder einen bleibenden Eindruck hinterlassen ??
Man muss bedenken, dass der DKV ein Sportverband ist, (leider) kein Kampfkunstverband.
Ich bin auch kein Wettkämpfer und mir wäre lieber, der DKV würde mehr für die breite Masse der Nicht-Wettkämpfer tun.
Das für viel Shotokan-Karateka Fallschule, Handkipphebel und Z-Hebel neu sind, finde ich auch etwas betrüblich.
Andere Stile haben diesbezüglich den meisten Shotokanern etwas voraus, aber dafür können die Shotokaner vielleicht andere Sachen?
Um so wichtiger, dass in dies Dinge irgendwann, irgendwo mal vermittelt werden. Ich bedauere auch, dass es nicht mehr Gelegenheit zum Austausch untereinander gibt.
Ich komme auch aus dem Shotokan, habe mir das aber in den 80ern nicht bewusst ausgesucht. Es gab einfach nichts anderes in meiner Umgebung. In diesem Verein wurde damals nur nach Prüfungsprogramm und für Kumite-Wettkämpfe trainiert.
Im Vergleich standen wir bei diesen Themen auch immer ganz gut da.
Irgendwann war mir klar, dass ich mehr lernen will (Selbstverteidigung, Nahkampf, Hebel, Würfe, Bodenkampf, Selbstverteidigung in der Kneipe, in der Bahn, im dunklen draußen im Regen…). Darüber hinaus hat mich Kyusho fasziniert, obwohl ich die Praxistauglichkeit auch in Frage gestellt habe, bis ich es am eigenen Leib erleben durfte.
Es ist auch gut so, dass was man lernt in Frage zu stellen, zumindest ab einem gewissen Niveau.
Jiu Jitsu für Einsteiger ist vielleicht nötig, um zu erkennen, was alles in unserem Karate enthalten ist. Die Meisten kennen eben leider nur Blocken, Schlagen, Stoßen, Treten.
Ja und Leute, die sich zu einem Lehrer/Multiplikator Lehrgang anmelden, ohne die Basics zu beherrschen, kenne ich auch. Das bremst die anderen natürlich aus.
Dann gibt es sogar noch Menschen, die möchten gerne ein Zertifikat bekommen ohne den Lehrgang zu Ende zu führen (weil sie meinen bereits alles können).
Bei der Matsumura no Passai handelt es sich um keine Shotokan Kata.
Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelten sich aus der Passai, deren Wurzeln zurück bis in´s China des 13. Jahrhundert reichen
die Oyadomari no passai (Tomari te) und die Matsumura no passai (Shuri Te).
Aus der Matsumura (ca. 1800-1901) no passai, entstand die Itoso (1831-1915) no passai, aus dieser wiederum die Chibana (1885-1969) no Passai sowie die Bassai von Funakoshi (1868-1957).
Zwischen der Matsumura no passai und der Gründung des Shotokan lagen also einige Jahrzehnte.
Im Shotokan wird diese alte Form normalerweise nicht trainiert.
Lediglich das Embusen ähnelt noch der aktuellen Bassai, welche übrigens in verschiedenen Varianten im zahlreichen Stilen wie Shotokan, Shito Ryu, Wado Ryu, Shoto Ryu, Koshinkan, Tang Soo Do, RyuKyu Kempo, usw. trainiert wird, sogar im Tae Kwon Do.
Ich denke, dass man die Passai nach Matsumura als durchaus Stilart übergreifend bezeichnen kann.
Wenn du dich mit den Bewegungen aus dieser Kata so schwer getan hast, liegt das vermutlich daran, dass du nicht weit genug über deinen eigenen Tellerrand geschaut hast.
Zu dem Kommentar >Das Thema „Über den eigenen Tellerrand schauen“ sollte für DAN-Träger Pflichtprogramm sein, …<
kann ich nur sagen "dem ist nicht so".
Ich habe mehrere Karateka kennengelernt, die nach 6 Jahren Karate den 1.DAN gemacht haben.
Was sollen die Leute in dieser kurzen Zeit gelernt haben?
Ein festgelegtes Prüfungsprogramm (kann man nachlesen) abzuspulen, mehr geht kaum, wenn man das gut machen will. Für alles Weitere bleibt keine Zeit. Keine Kata über das Pflichtprogramm hinaus, kein Bunkai (also wirkliche Analyse und Verständnis der Kata, nicht irgendeine vorgegebene Kata-Kumite-Anwendung nachmachen), keine Selbstverteidigung, keine Hebel, keine Würfe, kein Bodenkampf, keine klebenden Hände, kein Verständnis für Bewegungen und Technik, kein Blick über den Tellerrand in andere Kampfkünste.
Das kann man nun traurig, oder auch gut finden.
Jetzt sind diese Leute Willens mehr zu lernen. Wo sollen die hin gehen, wenn nicht zu solchen Ausbildungen?