Der „ältere Schüler“ wird in Japan Sempai genannt, in China „Si-hing“. Dabei darf man sich hier wie dort die Bedeutung nicht so vorstellen, wie wir das in Deutschland von der Schule her kennen. Hinter Sempai verbirgt sich nämlich viel mehr.
In klassischen Kampfkunstschulen ist für einen Beginner nahezu jeder ein „älterer Schüler“, schließlich ist er selber ja noch ganz am Anfang seines Könnens. Mit steigendem Wissen und Können wird der Schüler dann langsam selber zu einem „älteren Schüler“ für die nachfolgenden Beginner.
Ganz logische Nummer also. Aber in den asiatischen Kulturkreisen wird dem „Älteren“ ganz allgemein eine immense Hochachtung entgegen gebracht. Und aus diesem Respekt speist sich auch in den Kampfkünsten die Bedeutung von älteren Schülern und den Lehrern.
Nun leben wir, Gott sei Dank, weder in Asien noch in anderen, kriegerischen, Gegenden dieser Welt, wo solch streng hierarchisches Denken gefordert wird. Doch da die Beschäftigung mit Tritt, Wurf und Schlag nicht nur eine rein sportliche Betätigung ist, sondern bei der Ausübung auch eine ganze Menge Disziplin und Selbstbeherrschung verlangt wird, ist der Begriff des „Respekts“ gar nicht so verkehrt. Ein Trainer im Kampfsport kann nämlich doch mehr sein als ein bloßer „Trainer“, also Übungsleiter. Er kann (sollte) auch ein wenig Vorbild sein, wenn es um die Ausübung seiner Kunst geht. Denn wenn ein solcher „Trainer“ ein zwielichtiger Vogel ist, der sich durch schlechte Manieren, übersteigerte Brutalität oder barschen Ton „auszeichnet“, dann kann man ziemlich sicher sein, dass auch seine Schüler eher in diese Richtung tendieren. Beispiele dafür gibt es genug, dafür muss man gar nicht weit reisen.
Mit meiner Prüfung zum Braungurt schlüpfe ich direkt in die Rolle eines Sempai. Denn nach dem Wechsel von Witalli und Roman nach Münster und Paderborn verlässt uns auch ihr Nachfolger Flo, der aufgrund seines Studiums nicht mehr regelmäßig das Training leiten kann. Und so werden in Zukunft Ella, Uwe und ich verantwortlich sein für die körperliche Ertüchtigung von kleinen und großen Kempoka.
Zunächst einmal macht diese Aufgabe Spaß, denn Unterrichten liegt mir ganz allgemein. Und anscheinend besitze ich auch eine Ader, im Bereich Kempo Wissen an Mann und Frau und Kind zu bringen.
Aber zum anderen verändert sich auf einmal alles: Training ist kein „Kann“ mehr, sondern ein „Muss“, denn auf mich warten auf einmal Schüler, die ein Recht auf Unterricht haben. Und zwar auf guten Unterricht. Und das jeden Abend, nicht nur mal zur Vertretung. Also müssen Trainingspläne her, dazu immer neue Ideen, wie man anderthalb oder zwei Stunden ansprechend gestaltet. Das Internet ist eine prima Hilfe für den Anfang, doch Uwe und ich haben uns gleich auch zu einem Übungsleiter-Kurs angemeldet, um in Sachen Trainingslehre mehr auf den Kasten zu bekommen.
Wer also glaubt, dass ein „älterer Schüler“ auf dicke Hose machen kann und die Weisheit jetzt schon mit Löffeln futtert, der hat sich geschnitten. Das Lernen geht jetzt erst richtig los! Ach ja: Das eigene Training kommt darüber natürlich erst einmal viel zu kurz. Aber das Schicksal teilen wohl alle, die für eine Gruppe verantwortlich sind …
Nur gut, dass ich nicht alleine vor dieser Verantwortung stehe, sondern mit Ella und Uwe gemeinsam das Training gestalte. Sabrina und Kim verstärken unsere kleine Truppe noch, also sollte es doch zu schaffen sein, die nächsten Jahre (jawohl, das ist die Perspektive!) ein gutes Training ins Dojo zu bringen! 🙂