Ich osse nicht – im Gegenteil: Die inflationäre Verwendung dieses kleinen Wortes tut meinen armen Ohren weh. Aber warum bloß?
Ich betreibe unterschiedliche Kampfsportarten, seit ich 12 Jahre alt bin. Beim Kempo bin ich jetzt rund 10 Jahre. Doch erst in letzter Zeit stolpere ich vermehrt über das Wörtchen „Oss“, auch häufig „Ossu“ geschrieben. Wenn ich es höre, dann gleich zigmal während eines Trainings. Bei jeder Gelegenheit wird Oss gebrummt, bei jeder Bestätigung mit Oss bestätigt, sogar beim Angrüßen wird ge-osst.
Warum geht mir das auf den Keks? Zum einen rede ich während des Trainings kein Japanisch. Das kann ich nämlich nicht. Nur wenige Vokabeln, nämlich die der jeweiligen Technik, habe ich mühsam in meine Birne gebimst. Sozusagen Fach-Japanisch. Ich rede kein Englisch, Französisch oder Serbo-Kroatisch im Dojo. Wenn ich eine Frage habe, stelle ich die in Deutsch. Das beherrsche ich einigermaßen. Die Antwort bekomme ich auch in Deutsch. Warum soll ich dann eine japanische Bestätigungs-Floskel von mir geben, und die auch noch dauernd? Werde ich dadurch „japanischer“? Ich rede doch während des normalen Umgangs mit meinen Mitmenschen in meiner Sprache und stoße nicht bei jeder Bestätigung und Bejahung ein zackiges „Yes“ oder „Oui“ aus.
Also habe ich mich zunächst einmal damit beschäftigt, was dieses geheimnisvolle Wörtchen, welches sovielen Kempo- und Karateka offensichtlich enorm wichig ist, eigentlich bedeutet. Der Begriff „Oss“ wird eigenartigerweise wohl selten in Japan verwendet, auf Okinawa gar nicht. Warum? Weil es ein Slang-Begriff ist, entstanden laut Quellen des allwissenden Internet erst nach dem zweiten Weltkrieg im militärischen Umfeld. Was dem Ostfriesen sein „Moin“, war dem betrunkenen japanischen Soldaten eine genuschelte Form von „Onegaishimasu“. Welches er aber niemals zu einer Frau sagen würde. Auch Frauen untereinander benutzen dieses Wort nicht. Hat also offensichtlich auch noch einen sexuellen Nachklang. Und zwar keinen besonders netten.
Wenn man sich noch genauer mit dem Wörtchen beschäftigt, dann erfährt man, dass Oss aus den Schriftzeichen für „Stoßen“/“Drücken“ und „ertragen“/“erdulden“/“erleiden“ besteht. Damit wird hoffentlich klar, dass dieser Begriff in der normalen Kommunikation zwischen Mann und Frau nichts zu suchen hat.
Was also soll das? Drücke ich einem Lehrer meinen Respekt aus, wenn ich ihm einen ziemlich üblen Slang-Ausdruck an die Ohren schmettere? Eigentlich ist das „Hai“ die japanische Form von „Ja“. Und das schreit auch kein Mensch während des Trainings.
Die Kombination aus einem völlig übertriebenen Versuch, sich möglichst „original japanisch“ zu geben, und dem merkwürdigen Hintergrund dieses Begriffs lässt mich verstummen, wenn andere sich im Oss oder Osu versuchen. Ich hoffe, dass meine Lehrer mein Schweigen nicht als respektlos betrachten. Notfalls grüße ich sie aber gern mit Moin, denn das ist ein wirklich netter Willkommensgruß, der ziemlich original ist. 🙂
PS: Übrigens ist Oss auch ein kleiner Flecken mitten in Holland. Dort ist jeder „Osser“ bestimmt herzlich willkommen! 🙂
2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Hallo Lutz und danke für deinen Beitrag. Leider habe ich zu diesem Thema eine andere Meinung. Vielleicht interessiert es dich diese zu lesen. Hier ein kleiner Auszug von der Internetseite http://www.kyokushin.de: „…Diese Charakterstärke wird allein durch hartes und ausdauerndes Training erworben und ist bekannt unter dem Namen “OSU NO SEISHIN”. “OSU” als Wort hat seinen Ursprung im Begriff des “OSHI SHINOBU” und der meint: “durchhalten, während man bedrängt wird”. Das schließt den unbedingten Willen ein, sich selbst bis an die Grenzen des Erträglichen zu fordern, und derart zu lernen, jeder Art von Druck zu widerstehen. In seiner weiteren Bedeutung gestaltet sich das Wort mehrdeutiger- es beinhaltet einen Anruf an die Seele: halte Stand und lerne kämpfend, die Schwächen der menschlichen Natur, die jedem bekannt sind zu überwinden…“
Hier hast du den kompletten Link:
http://www.kyokushin.de/philosophie/26-organisation/information/phillosophie/72-osu-no-seshin
Mag sein, dass durch diesen Beitrag du das“ OSU“ aus einer anderen Perspektive betrachten wirst.
Für mich persönlich gehört das OSU zum Karatetraining dazu, wie das Angrüßen des Dojo, des Partner und des Lehrer. Denn wenn wir die Etikette aus Karate weg lassen, verkommt es zum Kickboxen.
Gruß Eugen
Hallo Eugen, hallo Lutz,
prima, dass es viele Meinungen gibt. Anders, ist dabei nicht falsch – oder richtig.
Ich meine, im Kampfkunstbereich wird vieles überhöht wie z.B. Etikette. Eine Etikette, die in der Tendenz offen oder verdeckt Unterwürfigkeit fordert, lehne ich z.B. ab.
Entwicklung zu einer selbstbewussten, auch kritischen Persönlichkeit finde ich ok. Dies ist aber nicht nur Kampfkunst oder Kampfsport gebunden.
Kickboxen mit „verkommen“ zu kennzeichnen, ist eine Herabsetzung, die ich nicht nachvollziehen kann.
Mit großem Respekt sehe ich im Kickboxen die Leistung im Training oder im Wettkampf. Tolle Sportler, tolle Trainer, tolle Menschen – mit den üblichen Qualitätsunterschieden (Noten 1 bis 4 z.B.) in fachlichen, methodischen, sozialen-kommunikativen, persönlichen Kompetenzen, wie in allen Sportbereichen. Schwarze Schafe gibt es meiner Erfahrung nach dabei überall – in anerkannten wie weniger bis gar nicht sportverbandlich anerkannten Verbänden. „Graue“ bis „weiße“ Schafe aber selbstverständlich gleichfalls.
Viele Grüße