Was bin ich eigentlich – ein Schüler? – ein Übungsleiter? – ein Trainer? – gar ein „Meister“? Ich weiß nicht, wie es anderen Kampfkünstlern geht, wenn sie vor einer Schülergruppe stehen. Aber ich hinterfrage oft mein Tun und meine Position.
Dazu trägt natürlich bei, dass ich selber ständig in der Rolle eines Schülers bin. Wenn ich zu meinem Sensei Olaf Bock reise, dann habe ich oft das Gefühl, ein Kempo-Dussel zu sein. Wenn ich mit meinem Silat-Meister Niki trainiere, dann staune ich über seine Geduld mit mir. Und wenn Alex mich im Silat-Training hat, dann geht mir so schnell die Puste aus, dass ich mir immer fest vornehme, noch eine Schippe Ausdauertraining drauf zu packen.
Warum ich ein Schüler bin
Also bin ich Schüler. Was bedeutet, dass ich mein Tun stets kritisch sehe, wenn ich selber Schüler unterrichte. Ich empfinde mich also alles andere als souverän, denn mein Kempo unterliegt einer steten Veränderung, an der ich meine Schüler auch teilhaben lasse. Ich gehe offen damit um, dass ich mitten in einem Prozess bin, nicht zuletzt durch das Training bei Olaf Bock und der Beschäftigung mit dem Silat.
Stehe ich vor einer Gruppe von Schülern, was ja mindestens zweimal die Woche der Fall ist, dann begreife ich mich als Entertainer und Übungsleiter. Die Leute / Kinder kommen, um sich auszutoben. Oder um sich körperlich zu ertüchtigen. Denen muss ich Animation bieten, ein hoffentlich schlüssiges Trainingskonzept präsentieren und für gute Laune oder reichlich Schweiß sorgen – am besten beides. Selbst mitmachen, das eigene Hecheln möglichst unterdrücken und immer eine Antwort auf Fragen haben.
Steigen wir tiefer ein in die Kampfkunst, dann hoffe ich, dass ich der Rolle eines Trainers gerecht werden kann. Das verstehe ich als jemanden, der auch den Blick über den Tellerrand ermöglicht. Der individuell die Stärken und Schwächen seiner Schüler erkennt und auf sie eingehen kann. Der seine Schüler fördert, wenn sie denn wollen. Der anspornt, aber auch mal locker lassen kann. Und der sich und sein Tun möglichst überzeugend vermitteln und beibringen kann. Und das auch mit einer gewissen Nachhaltigkeit. Trainer bringen Schüler heraus, die sie überflügeln. Dazu gehört ein gewisses Maß an Uneitelkeit. Aber auch die Sicherheit, seine Kampfkunst so verinnerlicht zu haben, dass man trotz all der eigenen Schwächen fest dazu stehen kann und sich selber nicht vom Wege abbringen lässt. Ich lerne in jedem Training auch für mich selber dazu – also werde ich eigentlich von meinen Schülern unterrichtet.
Warum ich kein Meister bin
Ein Meister bin ich nicht. Zum einen bin ich in einer Kampfkunst zu Hause, die kein starres Curriculum hat. Lernen, abhaken, prüfen und dann weiter – so funktioniert Shaolin Kempo einfach nicht. Dazu ist es zu lebendig, dazu gibt es zu viel zu entdecken. Auch wenn das traditionelle Angrüßen die Formulierung „Sensei“ erhält, fühle ich mich nicht als ein solcher.
Der 2. DAN kennzeichnet mich nur als fortgeschrittenen Schüler. Das technische Programm des Lung Chuan Fa wird erst mit dem 3. DAN komplett. Erst danach folgen weitere Meisterformen, die eine stete Herausforderung bleiben, egal in welchem DAN-Grad. Da bin ich nicht nur aufgrund meiner Graduierung noch lange nicht, gerade durch die Verarbeitung immer neuer Einflüsse. „Mein“ Stil ist noch lange nicht komplett, und ich ein sehr unvollkommener Schüler und alles andere als „fertig“.
Und dann verstehe ich den Begriff „Meister“ in der Kampfkunst, also Sensei oder Sifu, eher als eine Ehrenbezeichnung, die meine Schüler mir geben. Ein Sensei ist viel mehr als nur ein Übungsleiter, der Liegestütze oder Kiba Dachi trainiert. Viel mehr als jemand, der die Bunkai einer Sifat zeigen kann. Ein Sensei hilft und unterstützt seinen Schüler in einer Art und Weise, die dem dann auch im realen Leben weiterhilft.
Da schwingt eine Ebene mit, die weit über das gemeinsame Schwitzen und Keuchen auf der Matte hinausgeht. Vertrauen, Respekt, aber auch Zuneigung – Elemente, die in der breitensportlichen Trainingsauffassung von Sit up und Liegestütz wenig Platz haben. So etwas muss wachsen und ist von mir selber auch wenig beeinflussbar. Kein Wunder, dass die allermeisten Stile reine Familienstile sind – wie auch das ursprüngliche Kuntao Matjan von Carel Faulhaber, der Wurzel unseres Shaolin Kempo.
Die Menschen, die ich als echte „Lehrer“ im Sinne der Kampfkunst kennengelernt habe, haben mir stets mehr mitgegeben als nur eine Trainingsanleitung. Und das ist nicht als Verklärung irgendwelcher fernöstlicher Weisheiten gemeint. Ich hatte bisher das große Vergnügen, mit echt tollen Menschen und großartigen Sportlern trainieren zu dürfen. Die in ihrer Kampfkunst für mich unerreichbare Koryphäen sind. Die dadurch aber nicht zu meinen Sensei werden. Ein Beispiel: Maul Mornie ist jetzt schon eine Silat-Legende, bei der ich einige Seminare absolvieren durfte. Aber mein „Lehrer“ ist Niki Sandrock. Denn Niki teilt sein Wissen, seine Einblicke, seine Leidenschaft der Kampfkunst mit mir. Das hat mich in den letzten Jahren extrem geprägt. Gleichzeitig würde sich Niki selber aber wohl kaum als mein“Sensei“ bezeichnen, dazu nimmt er sich selber viel zu sehr zurück.
Gleiches gilt für Olaf Bock. Olaf bringt seinen Schülern auf eine sehr uneitle, aber trotzdem deutliche und direkte Art seine Auffassung von Shaolin Kempo nahe. Obwohl er von sich selbst ebenfalls als „Suchendem“ spricht, vermittelt er eine extreme Souveränität und Sicherheit. Da fließen hohes technisches Können und eine Persönlichkeit zusammen zu jemandem, den ich „meinen Lehrer“ nennen kann. Das ist eine sehr individuelle Entscheidung, die ich für mich gefällt habe.
Ein Sensei, ein Meister, ist man nicht durch Graduierung. Sondern durch die Betrachtung und den Respekt seiner Schüler.
So, genug der Weisheiten, jetzt geht es zu Sensei Olaf Bock, der mit die Sifat näher bringen will … 🙂 Ich hoffe, Euch haben die Zeilen gefallen!