Training

Die ewige Kata

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Je länger ich mich der Kampfkunst verschreibe, desto länger beschäftigt mich die Kata. Und zwar mittlerweile im durchaus positiven Sinne. Was übrigens die meisten Betrachter, die nix mit Kampfkunst am Hut haben, ziemlich ratlos dreinschauen lässt. Denn der imaginäre Kampf gegen einen oder mehrere Gegner sieht für Außenstehende manchmal wohl doch arg nach Ballett im Schlafanzug mit lautem Gebrüll aus. Ich habe solch lästerliche Stimmen im eigenen Haus … 🙂

Nix mit Kata
Die ersten zehn Jahre meiner Kampfsport-Karriere habe ich mit Kata gar nichts im Sinn gehabt. Das klassische Sport-Judo meiner Zeit kannte den Begriff gar nicht. Oder ich war nicht in die höheren Sphären vorgedrungen. Techniken, Fallübungen, Kämpfen in Boden und Stand – das reichte doch … Bis ich dann selber mit dem Kung Fu anfing. Und von Beginn an fasziniert war von den Bewegungen der höheren Schüler und Meister. Wow, das wollte ich auch lernen! Tatsächlich sind die chinesisch inspirierten Formen des Wun Hop Kuen Do ein echtes Brett, mit vielen Handspielen, tiefen Ständen und reichlich Akrobatik. Da ich nur wenige Jahre dabei war, kam ich über das reine Lernen der Formen aber nicht hinaus.

Kata kämpfen
Das erste Mal, dass ich tatsächlich eine Ahnung davon bekommen habe, was Kata wirklich sein können -also auch für mich -war beim Taekwondo. Das lag einfach daran, dass ich dort intensiver trainiert habe, dank der Vorschule von Judo und Kung Fu auch schon viele Bewegungen drauf hatte, und ein paar Jahre länger dabei war. Eine echte Inspiration war natürlich mein Trainer, Oktay Cakir. Wie sich dieser Taekwondo-Meister bewegen konnte, erinnerte immer an eine gespannte Stahlfeder. Und hier habe ich zum ersten Mal erlebt, dass man eine Kata, im Taekwondo Hyong genannt, auch tatsächlich kämpfen kann. Die Abfolge der Bewegungen ergab auf einmal Sinn und war nicht „nur“ ein Auswendiglernen von Technik nach Technik.

Nach dem reinen Lernen folgte also das Gefühl dafür, dass man eine Kata, wenn man sie wirklich „auswendig gelernt“ hat, auch mit Energie laufen kann. Mit ein wenig Konzentration gelang es mir tatsächlich, gegen virtuelle Gegner auch zu kämpfen. Schläge und Tritte kamen auf einmal wirklich hart an, die Abwehrbewegungen waren so energisch, dass ich tatsächlich auch hätte abwehren können, wenn es einen echten Angriff gegeben hätte. Aber das war Tagesform-abhängig. Mal klappte es, mal reichte die Konzentration nicht. Und vor allem harmonierte diese sehr harte Ausführung der Kata nicht so richtig mit dem fließenden Element, welches jede gute Form auszeichnen sollte.

DSC_2357Kata variieren
So richtig begriffen habe ich die Herausforderung durch Kata dann beim Kempo. Mit wieder neuen Kata. Die erst einmal gelernt werden mussten (und müssen!). Und da ich mittlerweile die zarten Teenie-Jahre lange hinter mir habe, fällt mir das Lernen der Bewegungsfolgen auch deutlich schwerer als früher. Was aber gar nicht von Nachteil sein muss, denn dadurch übe ich sie einfach langsamer und, wie ich hoffe, intensiver.
Mittlerweile variiere ich permanent beim Üben. Mal ganz langsam, mal schnell. Dann mit übertrieben tiefen Ständen, dann wieder jede Bewegung gleich fünfmal hintereinander ausführend. Durch das Unterrichten von Kata werde ich mit Fragen konfrontiert, die ich nicht immer gleich beantworten kann. Dann suche ich nach Möglichkeiten, Bewegungen zu rechtfertigen. Oder ich frage mich selber: Warum muss etwa der Zenkutsu Dachi schulterbreit ausgeführt werden, der Kokutsu Dachi aber mit den Füßen auf einer Linie? Ist es nicht sinnvoller, in einer eher der Verteidigung dienenden Stellung etwas breiter zu stehen, um auch seitlichen Angriffen ohne Schwanken widerstehen zu können? Nur ein Beispiel von vielen …

Kata falsch
Durch das Bunkai, also die Suche nach der Anwendung hinter den Bewegungen, eröffnet sich eine ganz neue Möglichkeit, Kata zu erfahren und zu interpretieren. Im Austausch mit anderen Kempoka werden zuvor gelernte Bewegungen auf einmal sinnvoll. Oder eben erst recht hinterfragt. Shaolin Kempo basiert zwar auf alten Stilen, ist jedoch eine recht neue Interpretation mit Elementen aus etlichen Kampfkünsten. Ich finde es total spannend, immer weiter zu den Ursprüngen der Kata vorzudringen. Und das nicht nur durch Studium möglichst originaler Quellen, sondern eben auch ganz handfest durch das mögliche Verstehen von Techniken und Bewegungen. Denn häufig ist eine Technik, die ich HEUTE nicht verstehe oder anstrengend finde, auch falsch oder unsinnig. Oft versteckt sich hinter einer merkwürdig anmutenden oder verflixt anstrengenden Bewegung ein ganz neuer Ansatz, etwa um sich gegen Waffen zu verteidigen oder selber einen Wurf auszuführen. Bevor ich also für mich selber darüber urteile, ob etwas falsch überliefert wurde und ich die Bewegung ändere, übe ich lieber weiter „traditionell“ und frage mich und andere, ob meine Interpretation vielleicht fehlerhaft ist.

Durch die Beschäftigung mit dem Silat und anderen Kampfkünsten öffnen sich vielfach wieder ganz neue Horizonte. Denn durch die verschiedenen Angriffs- und Verteidigungswinkel, die etwa im Silat stecken, gewinnen Kempo-Techniken auf einmal neuen Sinn. Die vibrierende Hüftarbeit des Okinawa Kobudo macht viele Techniken genial effektiv. Oder die klassische Dreiecksbewegung im Kung Fu, die einer Kata ganz neues Leben einhauchen kann.

Zu kurze Kata
In den letzten Jahren habe ich manchmal etwas neidisch zu anderen Kampfkünsten geschielt. Da gibt es ewig lange Kata, mit dutzenden oder gar hunderten von Abläufen, alle hintereinander und teils spektakulär. Dagegen nehmen sich unsere relativ kurzen Kata ziemlich bescheiden aus. Dann las ich über Okinawa-Karate-Stile, in denen es nur ein oder zwei Kata gäbe. Ist das nicht langweilig? Doch mittlerweile empfinde ich die scheinbare Kürze unserer Kata als deutlichen Vorteil. Wenn in jeder einzelnen Bewegung doch so viel Information und Interpretation steckt, wie soll ich dann einer Kata wirklich Leben einhauchen, die drei- oder viermal so lang ist? Gerade im chinesischen Kung-Fu gibt es Kata (Kuen), die minutenlang dauern. Hunderte Bewegungen aneinander gereiht. Sportlich eine echte Herausforderung, Aber wenn eine Bewegung erst nach rund 8.000 bis 12.000 Wiederholungen wirklich im Unterbewusstsein abgespeichert ist, muss jedenfalls ich noch reichlich üben, bis unsere „kurzen“ Kata wirklich sitzen.


So klappt das
Folgende Art des Lernens hat sich bei mir mittlerweile eingebürgert:
– erstes Auswendiglernen der Bewegungen (dauert bisweilen ganz schön lange!)
– Üben in verschiedenen Tempi und unterschiedlich hohen Ständen
– Kämpfen der Kata, immer im Wechsel von hart und schnell bis zu ganz weichen Ausführungen
– Erarbeiten der Bunkai mit und ohne Partner, mit Trainer oder durch Beobachten (auch in Literatur/YouTube)
– permanente Korrektur in der Ausführung, wieder neues Lernen, wieder verschiedene Tempi, Höhen, Härten

Aktuell
Wir üben in unserem Lung Chuan Fa fünf Tai Tsuku, fünf Saifa und (momentan) drei Meisterformen, wobei es auch hier sicher noch mehr gibt. Dazu kommen diverse „importierte“ Waffenformen. Meine momentanen „Lieblinge“ sind die ersten zwei Tai Tsuku. Warum? Ganz einfach: Die habe ich viel häufiger absolviert als die höheren Kata. Und daher bin ich im Empfinden, dem Spüren der Kata, hier einfach weiter.
In mein „Bewegung-Gedächtnis“ versuche ich, die fünfte Tai Tsuku zu bimsen, die ziemlich komplex ist.
Ganz aktuell hat mir mein Trainings-Kollege Fabian einen neuen Impuls in der dritten Tai Tsuku gegeben. Statt zwei Angreifern seitlich nur einer von vorne… Das will geübt werden!
Und da beim Trainieren einer Kata gleich auch noch Ausdauer, Kraft, Gelenkigkeit und Geschmeidigkeit mit geübt werden und man das allein oder mit Partnern und zu Hause genauso wie im Dojo machen kann, ist für mich Kata momentan tatsächlich die optimale Trainingsform im Kempo. Eben ein ewiges Thema …

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