Es gibt kaum eine Persönlichkeit, die das Kempo Karate in Ostwestfalen in den letzten Jahren so geprägt hat wie Andreas Brechmann. Im Interview verrät der 6. DAN, wie er zum Kempo gekommen ist, warum Shotokan für ihn keine Alternative und seine Schulter für den 55-Jährigen momentan sein wichtigster Gegner ist.
Steckbrief
Name: Andreas Brechmann
Stil: Shaolin Kempo Karate
Grad: 6. DAN Kempo, 4. DAN Kobudo, 3. DAN Jiu-Jitsu, 2. DAN Hapkido, 1. DAN Goju Ryu, 1. DAN F.I.S.T.
wohnt in: Leopoldshöhe
trainiert: S.u.S Lage, BSV OWL, Friedlicher Drache eV Löhne Gohfeld
Andreas, wann und wie begann Deine Laufbahn als Kampfsportler?
Von der Veranlagung her war ich gar keine Sportskanone. Ich konnte nicht schnell laufen, und Fußball lag mir auch nicht. In meiner Jugend und der Gegend hier denkbar schlecht, denn wo waren Jungs im Verein? Na klar, beim Fußball! Also war systematischer Sport anfangs Fehlanzeige. Erst mit 25 Jahren hab ich hier in Leopoldshöhe-Asemissen mit dem Training begonnen. Vorausgegangen war ein Karate-Lehrgang bei der Volkshochschule, der von Heinz Gerd Joeken angeboten wurde. Als dieser dann mal nicht stattfand suchte ich, damals Orangegurt 7.Kyu, die Umgebung nach Alternativen ab und landete schließlich sporadisch beim Karateclub Samurai in Heepen, das war 1987. Da ging für mich eine sportliche Welt auf. So sehr, dass wir aus dieser VHS-Gruppe den Kontakt zum TuS Leopoldshöhe suchten und uns, Kempo-Karate, erstmalig am 4. Juni 1989 auf der Sportwerbewoche dieses Vereins vorstellten. Ab September gab es die ersten Trainingszeiten der „Karate-Abteilung“ des TuS Leopoldshöhe, wo mir am ersten Abend von Heinz Gerd mitgeteilt wurde: „Andreas, DU machst das jetzt weiter, ich bin jetzt Volleyballtrainer, ich muß mit dem Sport Geld verdienen!“ Und dann, dann ging es so richtig los …
Welches waren Deine ersten Trainer, welche Einflüsse haben Dich geprägt?
Ganz klar Heinz Gerd Joeken und seine Art, mich und andere zu begeistern. Und mit ihm seine Version des Shaolin Kempo, welche Heinz Gerd von Willi Heuvens aus Kleve gelernt hat. Der wiederum trainierte direkt bei Hermann Scholz, welcher selbst Schüler von Gerard Karel Meijers war. Die Wurzeln „meines“ Kempo liegen also in der Meijers-Linie.
Dann trat ein weiterer Budo Sportler in meinen Weg: Im Juni 1990 referierte der Träger des 4. DAN Jiu-Jitsu, 2. DAN Shotokan, 1. DAN Judo und 1. DAN Taekwondo bei uns einen Grundschulaufbaulehrgang. Klaus Silbernagel aus Stukenbrock prägte ebenfalls meine Laufbahn, denn er war es, der forderte: „Schaut über den Tellerrand, es gibt soooo viel Budo-Vielfalt. Aber denkt daran – beurteilt werdet ihr immer nach eurer Grundschule!“
Dazu kamen dann sehr schnell weitere Kampfsportarten wie Jiu Jitsu, F.I.S.T., Taekwondo, Arnis und verschiedene Kobudo-Waffen. In einigen bin ich heute ebenfalls DAN-graduiert. Ich hab sogar einen gelben Gürtel im Shotokan (grinst)! Ich hab übrigens erst nach einiger Zeit erfahren, dass es überhaupt unterschiedliche Karate-Stile gibt. Für mich gab es nur Kempo, und das war eben DAS Karate. Nach sechs Jahren und vielen vielen Trainings hatte ich dann den 1.DAN.
Lieblingstechnik? Lieblingswaffe?
Gerade- und gedrehte Kicks und Mawashi Geri mit Kontakt auf den Schultern … und den Tzuki, den man nur einmal schlagen braucht. Bei den Waffen ist es einfach: Tonfa, eine oder auch beidhändig, genau wie den Nunchaku.
Zu einem anständigen Training …
… gibt es keine Regel, je nach Gruppe ansprechend zum auspowern, hart, technikbetont oder auch spielerisch. Für mich ist wichtig zu merken „da kommt was rüber“. Für mich ist Kampfsport allgemein ideal: Ich kann trainieren, wie ich will – ob allein, mit einem Partner oder in einer Gruppe.
Du bist seitdem scheinbar unermüdlich in Sachen Kempo und seiner Verbreitung aktiv. Und schon lange nicht mehr „nur“ als Sportler …
Stimmt, das begleitet mich eigentlich fast meine gesamte Kampfkunst-Laufbahn. Ich habe 1994 den BSV OWL mit gegründet, bin seit 1996 Trainer beim „Friedlichen Drachen“ in Löhne-Gehfeld und ab 1998 Trainer im SuS Lage. Ach ja, sagt man heute Sensei gleich Lehrer, so hat mich eine der früheren Übersetzungen mehr fasziniert: Seinerzeit bezeichnete man seinen Sensei auch als „väterlichen Freund“. So habe ich meine Verbindung zu Jörg Schütz empfunden, den Begründer des Seibukan. Von mir selber würde ich sagen, dass ich eigentlich immer der „Kindertrainer“ bin. Kindern an etwas Freude und Spaß zu vermitteln, gleichzeitig eine Selbstsicherheit zu geben, damit die sich hinzustellen und sagen „HIER BIN ICH!“, das ist mir nach wie vor Motivation.
Was unterscheidet Kempo Deiner Ansicht nach vom Shotokan Karate?
Da muss ich nicht lange überlegen. Beim Shotokan gibt es nur eine richtige Technik, die ist gleich von Kiel bis nach Koblenz oder Tokio bis Teheran. Alles gleich, alles genormt. Beim Kempo bin ich viel freier. Da kann ich auch mal Techniken abwandeln. Ich muss nur begründen, warum ich das mache, und die Erklärung muss sinnvoll sein, dann ist das okay. Das macht für mich den großen Unterschied aus.
Kempo kann jeder! Wichtig ist mir nur, dass er seine Leistung kontinuierlich steigert.
Es ist abzuwägen, bei wem diese Grenze wo verläuft. Das kann bei manchen bereits beim Orangengurt sein. Oder es gibt vielleicht einige, welche doch einen Schwarzgurt anstreben. Grenzen sind dazu da überwunden zu werden, ein Ziel zu erreichen, sich selbst zu motivieren. Und wer das schafft, hat auch einen Erfolg in Form einer höheren Graduierung verdient.
Es ist also nicht wichtig, dass ein Stil möglichst „original“ vom Meister auf den Schüler weitergegeben wird? Ist dies nicht bedenklich, da hierdurch doch auch Techniken verloren gehen können, die ein Schüler nur durch Nichtverständnis glaubt, einfach weglassen und dadurch „seinen“ Stil verbessern zu können?
Die Veränderung muss sinnvoll und nachvollziehbar sein, dann ist sie für mich okay. Unser aller Stilbegründer Meijers war jeden Tag in der Woche ein anderer Lehrer, je nach Tagesform hat er hier mal hohe Stände, dort mal tiefe Tritte gelehrt. Der war schon vielfältig in seinem Tun. Und alle seine Schüler haben nicht nur bei ihm gelernt, sondern das Erlernte dann auch selber weiter interpretiert. Hier in Ostwestfalen kamen dann wieder andere Einflüsse, einige von den Holländern um Faulhaber, andere durch auch heute noch bekannte Größen vor Ort. So etwa Wolfgang Wiechers, welcher seinerzeit als Träger des 1.Kyu Braungurt Shotokan mit dem Kempo im TV Blomberg begann und heute das Dojo leitet. Oder Marc Richards, der davor einen Kung Fu-Stil gelernt hat. Alle haben ihre Erfahrungen mitgebracht und das Kempo an ihr Können angepasst. Und ich finde das alles auch richtig, solange es, wie schon gesagt, sinnvoll und nachvollziehbar ist. Übrigens ist das kein Kempo-Phänomen. So sind alle Kampfkünste entstanden, erst das hat zu dieser Vielfalt geführt, die es heute gibt.
Diese Vielfalt scheint Dein Motto zu sein. Auch der Verband Seibukan, dessen unermüdlicher Vorkämpfer Du bist, ist ja nicht nur eine Klammer für Kempo-Schulen?
Auf keinen Fall! Der will eben gar keine Klammer sein, und schon gar nicht allein für Kempo … Der „Nordrheinwestfälische Budo-Sport-Verband Seibukan“ wurde 1980 von Jörg Rüdiger Schütz in Bielefeld gegründet. Es ist doch so, dass viele Kampfsportler dieses Verbands-Gedöns einfach über haben und sich weder durch überzogene Beiträge und Gebühren abzocken lassen wollen oder sich dauernd von Regeln und Verordnungen einengen wollen. Und da kam Jörg Rüdiger 1980 auf den Gedanken des Seibukan als Interessenvertretung von Budosportlern verschiedener Stilrichtungen. Als sich Jörg Rüdiger, der leider inzwischen verstorben ist, zurückziehen wollte, kam er 2005 ausgerechnet auf mich als seinen Nachfolger. Und seitdem versuche ich, den Seibukan mit Leben zu füllen.
Mit ziemlichem Erfolg, schließlich gehören mittlerweile 15 Vereine, Schulen und Dojos dazu, Tendenz wachsend. Doch Du bist ja nicht nur das Aushängeschild für den Seibukan, sondern auch in Sachen Turnier eine ganz zentrale Figur in unseren Breiten. Wie kam es dazu?
Veranstaltungen wie Seminare, Trainingslager und eben auch Turniere gehören einfach zum Kampfsport dazu. Was zunächst ganz bescheiden anfing, hat sich mittlerweile zu Großveranstaltungen mit über 300 Teilnehmern und bis zu 700 Einzelstarts entwickelt. Da habe ich ein prima Team, welches mich extrem unterstützt, hier in Leopoldshöhe, aber auch in Lage. Zuletzt hatte unsere Meisterschaft hier sechs Kampfflächen. Auf die Leistung, solch ein Turnier auf die Beine zu stellen, bin ich schon ein wenig stolz.
Was sind Deine Ziele im nächsten und den kommenden Jahren?
Zunächst einmal wieder fit werden. Schon seit längerem schlage ich mich nicht mit Gegnern, sondern mit meiner Schulter herum, bin gerade wieder operiert worden und komme erst langsam wieder in Gang. Momentan geht da in Sachen Kempo gar nichts. Das wird in den nächsten Jahren mein größter Kampf: den eigenen Ehrgeiz ein wenig zügeln und auch mal auf den Körper und dessen Warnsignale hören. Zweimal Schulter-OP, abgerissene Sehnen und gebrochene Elle in den letzten Jahren – das reicht!
Dann die Schultern anderer belasten, was die Verantwortlichkeit im BSV OWL und oder Seibukan betrifft …
Einfach nicht mehr ärgern über „Dummheiten“ anderer. Das wird aber schwer werden, denn der BSV ist mein Baby, welches dabei ist, erwachsen zu werden. Und mit dem Seibukan habe ich im Namen von Jörg Rüdiger Schütz eine Verantwortung übernommen, welche ich für mich nach wie vor verpflichtend empfinde.
An eine nächste DAN-Stufe denke ich selber noch nicht. Da glaube ich, meinen 6. DAN gut zu vertreten und gleichzeitig die Distanz zu höher graduierten Meistern zu wahren. Denn ich kenne da so einige, welche auf Grund ihrer Leistung, ihres Budolebens und/oder der damit verbundenen Lebensweisheit diese hohen Dangrade wirklich präsentieren können und diese auch verdient tragen!!!
Anmerkung: Mittlerweile ist Andreas Träger des 7. DAN.
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Andreas ist ein großartiger Kempo-Kollege ohne jegliche Starallüren. Vor allem menschlich ein Vorbild. Tolerant, freundlich, hilfsbereit, offen für alles. So, wie ein Meister sein sollte.