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Kata und Bunkai – Grundlagen eines Stils

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Mein Trainer Flo erklärt eine Saifa
Saifa-Training mit Flo

Was mache ich da eigentlich, wenn ich mit meinen Armen und Beinen herumschlackere? Was ist Kempo? Wenn ich bei Wikipedia oder unter unserer Homepage nachschaue, bekomme ich (hoffentlich) einigermaßen korrekte Antworten.
Doch so ganz trifft das nicht meine Frage. Denn mich beschäftigt das Woher? Was sind die Grundlagen, was sind die Wurzeln, denen ich mich sportlich und gedanklich verschrieben habe? Und was hat es mit diesen verflixten Kata und ihren Bunkai eigentlich auf sich?

Ganz generell und im täglichen Training ist das zunächst einmal gar nicht wichtig. Kempo oder Karate oder Judo oder Kung Fu – jede dieser Kampfsportarten ist so gut wie ihr Trainer. Ich hatte häufig Glück und durfte und darf bei wirklich guten Meistern / Sensei / Sifu üben.

Namenlose Formen
Doch je mehr ich mich mit Kempo beschäftige, desto mehr möchte ich auch über die Hintergründe erfahren. Die geben mir nämlich eine Ahnung, wohin auch meine eigene Reise geht.
Okay, wir betreiben eine Form von Shaolin Kempo. Deren Ursprünge liegen irgendwo zwischen Sifu Meijers und Sigung Faulhaber. Wobei sich das Lung Chuan Fa Kempo eher von Meijers ableiten lässt als von dem vom Kuntao geprägten, indonesischen Stil der Holländer. Aber Meijers selber hatte mit den historischen Wurzeln des Kempo, kommend vor allem aus Okinawa, nix am Hut, sondern mischte seine umfangreichen Kenntnisse in verschiedenen Kampfkünsten zu einem ganz eigenen Stil zusammen.
Daher ist der Stil, den wir heute ausüben, auch ein moderner Stil, der zwar Anleihen an viele Richtungen hat, jedoch mit dem klassischen Kempo-Karate eigentlich wenig zu tun hat.
Wir kennen im Lung Chuan Fa Kempo fünf Saifas und ebenso viele Tai Tsukus, dazu noch drei Meisterformen. Und eine ganze Reihe an Katas mit klassischen Waffen. Doch da fängt es schon an: Saifas kennen alle Kempo-Stile, doch woher kommen „unsere“ Tai Tsukus? Da weiß selbst das allwissende Internet keine Antwort. Und wie heißen unsere Katas? Wir zählen sie einfach schlicht durch, laufen also „namenlose“ Katas.

Die "3. Tai Tsuku"
Die „3. Tai Tsuku“

Kata und Bunkai
Warum ist mir das wichtig? Weil ich mich seit längerem im Training mit dem Aspekt Bunkai befasse. Bunkai meint die Anwendung einer Kata. Und erklärt letztlich die Bewegungen, die hinter einer Kata stecken. Eine Kata ohne Bunkai ist bloßes Theater, vergleichbar mit dem Rumgehüpfe in Jazz Gymnastik oder Ballett. Doch der Sinn von Katas war ja, Prinzipien eines Stils weiterzugeben. In einer Zeit, als es gefährlich und verboten war, Kampfkunst zu trainieren, waren Katas oft die einzige Möglichkeit, die verschiedenen Techniken und ihre Anwendungen als Bewegungsmuster weiterzugeben und zu bewahren. Und das oftmals sogar raffinierter Weise in verschiedenen Abstufungen, für die unterschiedlichen Entwicklungsstufen des Schülers. Es steckt also mehr hinter einer Kata, als nur eine Bewegung nach der anderen nachzumachen.
Und das bekommt man nur raus, wenn man sich mit der Aktion und Reaktion beschäftigt, auf die eine Kata-Bewegung eigentlich abzielt. Eigentlich nicht schwer, oder? Eben doch! Denn auf einmal wird klar, dass ein Block eben nicht nur ein Block ist, sondern auch ein Angriff sein kann. Und ein Faustschlag auch eine Abwehr.

Versteckt und vermurkst
Und jetzt wirds für mich schwierig. Denn in einer Kata verstecken sich nicht nur die offensichtlichen Aktionen von Angreifer und Abwehrendem.  Manche Techniken lassen sich nämlich nicht so einfach ableiten. Denn vor noch gar nicht so langer Zeit war klassisches Karate, ob Kempo oder japanisches Karate, noch nicht „entschärft“ und auf Sportlichkeit getrimmt. Da gab es Stöße mit dem Kopf, Hebel, Würfe, Stiche in die Augen oder Stiche mit den Zehen in die Genitalien.
Das Problem: Heute werden Katas häufig nicht mehr verstanden. Da meint ein Neu-Sensei schnell mal, hier was weglassen zu können oder dort etwas hinzuzufügen. Und hier komme ich zum Dilemma vieler „neuer“ Stile: Deren „Erschaffer“ oder „Gründer“ mixen munter ein ganzes Sammelsurium an Elementen zusammen, die oftmals sogar gut aussehen und ordentlich anstrengend sind. Doch häufig verlieren die alten Katas damit ihre Wurzeln. Und schwupp fängt man an, Bewegungen zu trainieren, „weil es eben so ist“. Was natürlich als Begründung für diese oder jene Technik totaler Käse ist.
Durch diese Verfälschungen und Verwässerungen wird es aber sehr schwierig, richtig Bunkai zu trainieren. Wer soll einem denn auch die versteckten Bewegungen, den „Code“ hinter der Kata, erklären, wenn eine Kata als Kunst der Nachahmung empfunden wird und jeder Quatsch und jede unmögliche Bewegung als „vom Meister vorgegeben“ nachgeäfft wird? Wie soll ich als Schüler unterscheiden zwischen einer komplizierten und schwierig zu bewältigenden Technik, die aber Sinn macht, und einer Show-Technik, die irgendwann mal dazugedichtet wurde, ohne wirklich Sinn zu machen?

Der hat (fast) immer eine Antwort: Sensei Witalli Reingard
Der hat (fast) immer eine Antwort: Sensei Witalli Reingard

Stil-Klimbim
Hier liegt meiner Meinung nach einer der größten Unterschiede zwischen modernen und klassischen Stilen. Gerade im Shaolin Kempo wird lustig rumgefummelt. Jedes Dorf, jede Stadt, jeder Sensei hat seinen „eigenen Stil“, jeder „Meister“ verteidigt erbittert die „Tradition“ seines wenige Jahre alten Stils. Die Vielzahl an Namen und Bezeichnungen für an sich gleiche Stile scheint grenzenlos. Die Zahl der DAN-Grade, passend dazu, übrigens auch! 🙂 Was nicht unbedingt immer ein Merkmal grenzenloser Qualität ist …
Bei den klassischen Karate- und Kung Fu-Stilen wird extremer Wert darauf gelegt, dass die Techniken tatsächlich von einer Generation an die andere möglichst unverfälscht weitergegeben werden und nicht verloren gehen. So ein strenges Korsett hat natürlich auch Nachteile, führt aber dazu, dass die Basis des Stils nicht verwässert. Klappt nicht immer, aber erstaunlich gut, wenn man sich etwa Shotokan oder Goju oder Wado Ryu anschaut.

Je mehr ich mich mit Kempo befasse, umso häufiger stoße ich auf „originales“ Kempo, also das ursprüngliche Karate. Und das hat ganz viel mit Okinawa zu tun, mit Kobudo, klassischen Kata und eben mit Bunkai. Und je mehr ich dazu lerne, desto spannender wird es für mich, mich mit „unseren“ Katas noch intensiver zu beschäftigen. Was sind originale Okinawa-Elemente? Wo sind Einflüsse des chinesischen Kung Fu zu entdecken? Wie könnte man den Angriff, den Block oder den Tritt interpretieren? Und wen könnte ich fragen, wenn ich nicht weiter weiß? Wer kennt die Absicht hinter dieser oder jener Bewegung? Das ähnelt ein wenig einer Detektivarbeit. Und macht unheimlich Spaß. Denn obwohl mich die enge Struktur der klassischen alten Stile nicht reizt, möchte ich natürlich wissen, was ich da eigentlich mache. Und als Trainer empfinde ich es auch als meine Aufgabe, wirkliches Wissen zu vermitteln und niemanden zum bloßen Nachäffen zu verdonnern, weil ich es selber nicht besser kann oder weiß.

In den Meisterformen werden Kung Fu-Einflüsse deutlich
In den Meisterformen werden Kung Fu-Einflüsse deutlich

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