Es war eine kleine Schar Auserwählter, die sich zum „Hakei Seminar“ mit Stephan Yamamoto im Kalletal trafen. Oder sollte man besser von „Schlaulis“ sprechen? Denn wer das Seminar mit dem wuchtigen Karateka aus Baden-Württemberg verpasst hat, der hat sich eine wirkliche Inspiration für jeden Kampfkünstler durch die Lappen gehen lassen.
So ganz langsam mausert sich das Kalletal zu einem Ort, wo sich nationale und sogar internationale Meister mit aufsehenerregenden Seminaren die Klinke in die Hand geben. Nachdem es im letzten Jahr gelungen war, mit Frank Pelny einen weit über die Grenzen von Europa bekannten Kobudo-Meister zu einem Kommen zu bewegen, konnte ich in diesem Jahr mit dem Silat- und Kempo-Meister Niklas Sandrock erneut einen Top-Referenten gewinnen. Und Reinhold Weidemann war jetzt in der Lage, eben diesen Stephan Yamamoto für uns zu angeln.
6. DAN Shushukan-Karate, 3. DAN Iaido, 1. DAN Judo – ein stattlicher Fisch, und das im wahrsten Sinne. Dass Sensei Stephan schon mal ein halbes Jahr Sumo in Japan gerungen hat, nimmt man dem bulligen Zwei-Meter-Mann sofort ab. Es passiert nicht allzu oft, dass ich mich schmächtig fühle …
Überhaupt Japan. Stephan Yamamoto spricht Japanisch und ist durch lange Aufenthalte mit der Kultur des Inselreiches bestens vertraut. Dieses Wissen um Land, Leute und Mentalität sorgt für eine herrlich erfrischende Sichtweise. Und der angehende Religionswissenschaftler genießt es, die eine oder andere romantische Vorstellung über Traditionen rund um die Kampfkünste zu pulverisieren.
Doch zunächst zum Hakei und dem Prinzip der Wellenbewegung, welches Thema des Seminars war. Der Tag begann mit ungewohnten, ziemlich entspannten Aufwärmeinheiten. Sensei Stephan versteht sich als Kampfkünstler, nicht als Kampfsportler. Gerade diese sportliche Komponente sorgt seiner Meinung nach für eine völlig falsche Orientierung des Karate, weg von einer gesundheitsfördernden und -erhaltenden Kunst mit vielfachen Anwendungen, hin zu einer limitierten und nur auf den schnellen Erfolg fixierten und damit seiner Potentiale und Ideale beraubten Sportart. Wobei das, nach seiner Meinung, auch für die meisten anderen Stile gilt, ob Judo, Kendo oder Jiu Jitsu und Co.. Das bedeutet allerdings im Umkehrschluss nicht, dass Yamamoto der Körperlichkeit abgeschworen hätte. Ohne Fleiß kein Preis – das gilt natürlich auch im Shushukan.
Folgerichtig bewegten wir uns wenig schweißtreibend, dafür eher in den eigenen Körper fühlend. Die Beweglichkeit des Brustbeins gewann Bedeutung, denn soll eine Welle im Körper vom Fuß über die Hüfte und die Schulter zum Arm zum Kraftbaufbau genutzt werden, dann ist hier Elastizität gefragt. Verdammt ungewohnt! Und so war die ganze Schwarzgurt-Prominenz unverrichteter Dinge dabei, wieder Grundschule in Bahnen zu laufen …
Als Sensei Yamamoto zum hölzernen Übungsschwert greifen ließ, wollte er damit Körperhaltung und Wellenbewegung verdeutlichen. Mit Erfolg, denn auf einmal wurde mir klar, was er meint. Für Yamamoto war es übrigens eine Erklärung wert, dass Kobudo und Karate zusammen gehören und Bo und Co erst im Sport-Karate ihre Berechtigung verloren hat. Ein kleines Beispiel dafür, dass wir im Kempo auf ’nem ziemlich richtigen Weg sind, denn DAS trainieren wir ja schon lange. Und auch die Jungs vom Silat bekamen ein breites Grinsen ins Gesicht … 🙂
Das Grinsen wurde im Laufe des Lehrgangs noch breiter, denn nachdem Stephan Yamamoto das Prinzip der Welle verdeutlicht hatte, ging er zur Interpretation von Kata-Bewegungen und deren angewandter Technik über. Grundlage waren Shotokan-Kata, die den meisten Kempoka unbekannt waren. Von Schlägen oder Tritten entlang einer geraden Linie rät Yamamoto ab. Die Power seiner Techniken kommt aus der „inneren“ Welle. Und auch Wellen donnern ja nicht als gerade Wasserwände an die Küste …
Als er mit beidhändigen Aktionen Schläge und Tritte aufnehmen und kontern ließ, war die Nähe vom Shushukan Karate zu einem wesentlichen Silat-Prinzip augenscheinlich. Block, Pass, Schlag – im heutigen Karate und auch Kempo wenig praktizierte Aktionen. Aber im echten Kampf viel eher erfolgversprechend als die „Ein-Schlag-und-Tod-Variante“ moderner Sport-Interpretationen oder von Hollywood-Krachern. Für mich verlässt das Shushukan damit den Sport und wird zur echten Kampfkunst. Denn werden die Techniken konsequent geübt, dann ist dem Verteidiger ziemlich schnuppe, wie der Angriff erfolgt – er weiß automatisch eine Antwort. Es geht nicht mehr um einstudierte und vorformulierte Abläufe, sondern um Prinzipien, die auch in einer echten Auseinandersetzung wirklich funktionieren.
Für mich eine erneute Bestätigung, wie gut meine neuen Erfahrungen im Silat eigentlich zu „meinem“ Kempo passen, denn wenn man unsere Kata und vor allem unsere Kumite genauer anschaut, dann erkennt man genau diese Bewegungen immer wieder. Vielfach wird heute aus Unkenntnis der erste Block oder der Pass nicht in seiner richtigen Funktion ausgeführt, sondern ist zu einer harten Technik „vermurkst“ worden, die vor allem gut aussehen soll. Doch bei genauer Betrachtung erkennt man deutlich, wie die Technik eigentlich ausgeführt werden muss, um effektiv zu sein und Sinn zu ergeben.
Und wenn ein anerkannter Experte eines originalen japanischen Karate-Stils zu eben genau diesen Interpretationen gelangt, dann ist das für mich ein echter Ansporn, mich weiter mit unseren Kata und Formen zu befassen, um für mich zusammenzuführen, was zusammen gehört. Meine Erfahrungen im Judo, Kung Fu und Taekwondo gewinnen immer mehr an Gewicht für mein Kempo. Denn wie im Silat wird auch im Shushukan von Yamamoto gehebelt, gewürgt, geworfen und gefallen. Dazu die vibrierende Hüfte des Tesshinkan Kobudo und die Hakei-Welle des Shushukan – passt doch!
Die Körperarbeit von Stephan Yamamoto ähnelt ein wenig dem Silat. Da klatscht es mitunter ganz schön. Kontakt gehört auf diesem Niveau einfach zum Lernen und Lehren dazu. Auch wenn das Seminar von Sensei Stephan von der Intensität der Silat-Gruppe um Niki Sandrock weit entfernt war. Aber diese Truppe ist sowieso handverlesen und kann nicht mit „normalen“ Kampfkunst-Aktivitäten verglichen werden. Wer mit Stephan Yamamoto trainiert, der darf also auch „geben und nehmen“.
Neue Inspiration, neue Fragen an das eigene Verständnis, neue Techniken – wenn mich ein Seminar nachhaltig zum Nachdenken anregt, dann war es für mich ein gutes Seminar. Ich hoffe, dass ich nicht das letzte Mal bei und mit Sensei Stephan Yamamoto trainieren durfte …
4 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Vielen Dank.
Das Seminar hat mir wieder viele Anregungen für unser Training, auch für Shotokan Karate, gegeben.
Tja mein Freund Jürgen L., wird Zeit das es in Kassel mal ein so anspruchsvolles Seminar mit Stephan Yamamoto gibt.
[…] Arbeit im Silat und mit Niki kommt jetzt eine Wellenbewegung des Körpers hinzu, wie sie etwa auch Sensei Yamamoto schon gezeigt hat. Die fließt durch den Körper und sorgt dafür, dass die Bewegungen ganz […]
[…] als nur „neue“ Techniken. Seit der Beschäftigung mit Silat und auch den Kontakten zu Stephan Yamamoto und Frank Pelny habe ich begriffen, dass es (für mich) eher um Bewegungsprinzipien geht. Im […]