Ein 10. DAN ist lächerlich! Zu hohen DAN-Graden im Shaolin Kempo hat Witalli Reingard, Trainer des Lung Chuan Fa Kempo, 3. DAN, seine ganz eigene Meinung.
Warum der (zum Zeitpunkt des Interviews 2015) 32-jährige Sensei seine eigene Prüfung zum 4. DAN abgesagt hat, wo seine Wurzeln sind und wie er sich weiter orientiert, verrät er uns im Interview.
Steckbrief
Name: Witalli Reingard
Stil: Lung Chuan Fa Kempo
Grad: 3. DAN Kempo, 1. DAN Kickboxen
wohnt in: Hamburg
trainiert bei: momentan ohne Dojo
Wann hast Du mit dem Kampfsport angefangen?
Mit 8 Jahren habe ich in Kirgistan mit Shotokan Karate angefangen. Mit 10 bin ich in Deutschland angekommen und habe einen 3/4 Jahr später mit dem Kempotraining angefangen.
Wer waren Deine Trainer, wer hat Dich in Sachen Kempo geprägt? Woher kommen Deine Einflüsse?
Meine ersten Kempo Trainer waren Marc Richards und sein Trainerteam. Später wurde ich auch von anderen Höhergraduierten trainiert.
Beschreibe bitte kurz, welche Stationen Dein Kampfsportleben bisher hatte.
Um das einigermaßen zusammenzubekommen, müsste ich in einer der Umzugskisten nach dem Haufen Urkunden suchen 😉
Im Kempo habe ich den Schwarzgurt gemacht, war danach beim Bund und habe zeitweise die Augustdorfer Kempoka unterstützt. Bis dahin hatte ich einige Erfolge auf lokaler und nationaler Ebene in den Disziplinen Kata und Waffenkata vorzuweisen. In meiner Paderborner Studienzeit habe ich einerseits in Kalletal unterrichtet und habe sonst zwei Mal die Woche 3 bis 4 Stunden Capoeira trainiert. Dadurch habe ich deutlich an Dynamik und Flexibiliät gewonnen, welche mir vor allem in meinen später folgenden Kontaktkämpfen hervorragende Dienste geleistet haben.
Dann kam die Zeit in Münster und im Kempokai. Das Angebot der Kampfsportschule war perfekt. Man konnte jeden Tag trainieren und zwar Shaolin Kempo, Kickboxen und Taekwondo. So war ich 4 von 5 Tagen beim Training und erfreute mich einerseits an dem recht technisch-orientierten Kempo-Training von Carsten Just und andererseits am fitnesslastigen Kickboxen. Das Taekwondotraining bildete quasi das Sahnehäubchen und befriedigte meinen Traum vom Highkicking. Meine Capoeiraerfahrungen halfen mir dabei, stets unverletzt aus dem Training zu gehen.
Einige Jahre später legte ich bei Carsten die Prüfung zum 3. DAN ab und konnte sogar im Kickboxen meinen 1. DAN machen. In der Zwischenzeit hatte ich bereits etliche Kickbox- und Kempotrainings vertretungsweise geleitet und konnte so meine „trainerischen Fähigkeiten“ durch die oft wechselnde Schülerschaft deutlich erweitern.
Diese Kenntnisse gab ich stets an meine Schüler in Kalletal weiter. An Wettkämpfen nahm ich hauptsächlich im Kickboxen teil und entdeckte den Spaß am Halb- und Vollkontaktkämpfen, die sich deutlich vom Semikontakt unterschieden, mir aber auch deutlich mehr Spaß bereiteten. Bedingt durch einen Trainer- und Philosophiewechsel im Kempokai suchte ich nach Alternativen und habe mich durch Systema, Wing Tsun, Kung-Fu und viele weitere Kampfsportarten durchprobiert, fand aber nie den Spaß, den ich am Kempotraining hatte. So beschloss ich, etwas Neues auszuprobieren und fand meinen Spaß am Rennradfahren, später auch am Laufen.
Nach dem Umzug nach Stralsund fehlte mir bis dato die Zeit, um in Sachen Kampfsport Anschluss zu finden. Dies ist aber in Arbeit 😉
Lieblingstechnik? Lieblingswaffe?
Alle gesprungenen Highkicks & Mawashi Empi Uchi.
Zu einem anständigen Training gehört …
Ein Plan des Trainers und ein Ziel. Nur so kann eine Motivation gewährleistet werden und eine sukzessive Verbesserung ist möglich.
Nach einem anständigen Training sollte man …
… mit dem Partner die blauen Flecken zählen 😉 Und darüber nachdenken, wieso das Training anständig war, was bedeutet, dass es auch „nicht anständige Trainings“ gibt, wieso es solche gibt und wie man jene reduzieren kann.
Du hast im Frühjahr überraschend Deine Prüfung zum 4. DAN abgesagt. Was war der Grund?
Ich hatte die Prüfung fest vor, habe mich mehr als neun Monate intensiv vorbereitet. Dann habe ich beim Verband Seibukan, in dem der Budo SV Kalletal ja auch ist, gefragt, ob sie ein Prüfungskomitee für mich hätten. Hatten sie, außerdem wurde ich auf ein Vorbereitungsseminar für DAN-Träger eingeladen. Für mich etwas überraschend kam dann auf einmal ein neuer, sehr hoher DAN-Träger ins Spiel, der auf einmal im Verband eine Stimme hat (Manfred Lee Rosen, 10. DAN Russian Kempo Karate; Anm. d. Red.). Ich kannte den Herren nicht und habe bis heute eigentlich keine Ahnung, woher er kommt und was er vorher gemacht hat.
Bei diesem Vorbereitungsseminar sollte dann „gesichtet“ werden. Doch wie kann man in einer vollen Turnhalle, und die war wirklich voll, tatsächlich beurteilen, was ein einzelner Prüfungsanwärter wirklich drauf hat? Ich bin da sehr skeptisch.
Doch absurd wurde es für mich, als einem der Mit-Prüflinge, einem älteren DAN-Träger (Heinz-Josef Köring, Steinheim, Anm. d. Red), völlig überraschend auf diesem Lehrgang schon der nächste DAN-Grad verliehen wurde. Der hätte das bestimmt auch ohne diese ziemlich zweifelhafte „Ehrung“ geschafft. Und das mit einer mega-albernen Rede als Begründung. Da habe ich dann entschlossen, die Prüfung abzusagen.
Wie geht es jetzt weiter?
Ganz ehrlich: keine Ahnung. Ich bin echt enttäuscht von dieser Kampfsportszene. Diese ganzen künstlichen und absurd hohen DAN-Grade sind doch lächerlich. Wie kann jemand einen 10. DAN erreichen und dann noch hohe DAN-Grade in anderen Künsten haben? Diese Vergabe- und Verleih-Nummer ist gerade im Seibukan und im Shaolin Kempo und drumherum gang und gäbe, dabei sinkt das Niveau oder geht ganz verloren. Bei keiner DAN-Prüfung fällt jemand durch. Es wird lustig hin und her verliehen, in komischen Organisationen, die dann gegenseitig anerkannt werden. Manchmal gewürzt mit dem einen oder anderen 100er. Erst wird dann noch in der Szene gelästert, doch Konsequenzen gibt es nicht, und nach wenigen Wochen kräht kein Hahn mehr danach. Da stimmt doch was nicht. Bis zum 2. oder 3. DAN ist es ja okay, wenn vor allem das Sportliche im Vordergrund steht, aber wo bleibt dabei eigentlich das Geistige? Wo bleibt die Beschäftigung mit den Hintergründen des Stils, mit dem Warum? Mit der eigenen Reflektion?
So wird der DAN nur noch zur Kulisse nach außen. Man erwirbt die Berechtigung, seine Schüler weiter zu prüfen. Aber dann könnte man auch Karten abknipsen oder Anwesenheitslisten abhaken. Das kann man nicht mehr wirklich ernst nehmen, wenn man noch was im Kopf hat! Das macht doch keiner mehr mit … Ich jedenfalls nicht.
Was machst Du aktuell? Und wann sehen wir Dich im Kalletal mal wieder?
Aktuell bin ich selbstständiger IT-Dienstleister (SEO, Marketing, Webdesign), baue mit einem Bekannten eine Firma auf und stecke bis zum Hals im Kaffeebarprojekt meiner Lebenspartnerin Luise (coffifee.de).
Dieses Jahr schaffe ich es wohl nicht mehr nach Kalletal. Aber im nächsten Jahr bin ich bestimmt mal wieder in meiner alten Heimat und werde genügend Zeit einplanen, um auch in Sachen Kampfsport aktiv zu werden.
Nachtrag
Das Interview ist 2015 geführt worden. Mittlerweile lebt Witalli in Hamburg, ist nach wie vor komplett sportverrückt und trainiert unterschiedliche Kampfkunststile.
Witallis Blog
2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Im Grundsatz hat Witalli recht und Respekt für seine Entscheidung den 4.Dan nicht abzulegen! Nur sollten nicht alle Stilarten v. Shaolin Kempo über einen Kamm geschert werden! Wir haben z.B. teilweise in 3 Verbänden unsere Dan-Prüfungen abgelegt und v. Anspruch sehr hoch. Hier lege ich auch heute noch sehr viel Wert darauf.
(Diese Vergabe- und Verleih-Nummer ist gerade im Seibukan und im Shaolin Kempo und drumherum gang und gäbe, dabei sinkt das Niveau oder geht ganz verloren.) Osu Jochen Siekmann 5th Dan (Prüfung in 3 Verbänden)
[…] Entsprechend ist auch das Angebot, welches der DKV anbietet, viel größer als “nur” Wettkampf-Kumite und Japan-Shotokan-Karate-Wettkampf-Kata. Und das Bedürfnis, seinen Horizont zu erweitern, eint viele der Aktiven im DKV. Natürlich auch der Shotokan-Kollegen! Im KDNW, dem nordrheinwestfälischen DKV-Verband, haben wir vom Kempo allerdings einen Stotterstart hingelegt, denn zunächst galt es, einige Skeptiker von der Sinn- und Ernsthaftigkeit unseres Stils zu überzeugen. Einige der Gründe sind nachvollzieh- und nachlesbar, etwa hier. […]