Bin ich im siebten Himmel? Oder habe ich eine ausgewiesene masochistische Macke? Ich kapier nix, die Welt dreht sich zu schnell, meine Hüfte dafür gar nicht, und statt den Stock zu schwingen, hab ich Knoten in Beinen und Gehirn. Was mache ich hier eigentlich, hier im Südharz, zwischen lauter Shotokan-Karateka?
Wer sich länger mit Kempo beschäftigt, kommt irgendwann an den Punkt, wo er sich fragt, wo eigentlich die Ursprünge dieser Kampfkunst liegen. Hab ich auch gemacht. Und landete immer wieder bei Okinawa. Und jetzt in Nordhausen. Bei jemandem, der ein ausgewiesener Experte in Sachen Karate und Kobudo ist. Hurra, das sechsteilige Intensiv-Seminar Kobudo bei und mit Frank Pelny hat angefangen! 2014_Intensivkurs
Die Ryukyu-Inseln, mit der Hauptinsel Okinawa, liegen nämlich mittendrin zwischen China, Philippinen und Japan. Also ideal, um Handel zu treiben und sich auszutauschen. Dorthin „exportierten“ chinesische Experten ihre Fähigkeiten in vielerlei Hinsicht, und eben auch in Sachen Kampfkunst. Und erst von hier eroberte die China-Faust, umgemodelt in Karate, die japanischen Inseln.
Den Begriff Kempo kann man mit „China-Faust“ übersetzen. Er ist schreibgleich mit dem chinesischen Begriff „Chuan Fa“. Und das ist im chinesischen ein alter Oberbegriff für alle Kampfkünste Chinas, ob mit oder ohne Waffen.
Ich war, als ich im Kalletal auf das Kempo stieß, von Beginn an fasziniert von den verschiedenen Waffenformen, die hier gelehrt werden. Verschiedene Langstock-Formen, dazu die Handhabung von Sai und, wer wollte, durfte und konnte, auch Hellebarde, Speer, Nunchaku oder Kette. Wer hier in OWL unterwegs ist, trifft dazu auf Experten in Sachen Tonfa. Und auch am Schwertkampf wird sich versucht.
Doch woher kommen „unsere“ Formen und Partnerübungen? Welcher methodische Ansatz steckt dahinter, zu welchem System gehören sie? Und wie kann man sich selber weiterentwickeln, wenn man die Grundlagen einigermaßen verinnerlicht hat? Als ich über die Ausschreibung von Sensei Frank Pelny stieß, der in sechs Einheiten einmal quer durch die alten Waffenkünste führt, war ich vorsichtig begeistert. Nordhausen, Postleitzahl 9. Also wieder mal Hintertupfingen nahe irgendeiner süddeutschen Grenze, unerreichbar für Nordlichter… Echt schade!
Totaler Quatsch. Nordhausen liegt in Nord-Thüringen an der Südseite des Harzes. Und der ist, jedenfalls nach meiner Meinung, ein norddeutsches Mittelgebirge. „Nur“ rund 250 Kilometer trennen das Kalletal von Nordhausen. Und das ist für einen Extrem-Pendler wie mich ein Katzensprung. Also flugs angemeldet. Fast hätte mir mein blöder Drehschwindel noch einen Strich durch die Rechnung gemacht, denn wie sollte ich ohne Auto nach Nordhausen kommen? Doch dank meines Freundes Andreas Harder, der sich spontan zum (Mit-)Fahren entschied, war das Problem gelöst.
Und so stand ich also inmitten von weißgewandeten Karateka, viele von ihnen aus den „neuen“ Bundesländern und offensichtlich schon öfter mit den Nordhausenern in Kontakt. Frank Pelny ist in Sachen Shotokan und Kobudo eine Autorität, hat im Karate den 6. und im Kobudo den 4. DAN (und wohl noch einige Graduierungen in anderen Kampfkünsten mehr). Aufmerksam wurde ich auf Sensei Pelny durch seine Veröffentlichungen, er hat unter anderem das mehrteilige Werk „Ryukyu Kobudo Tesshinkan“ verfasst. Und ist Technischer Direktor und Repräsentant des gleichnamigen Verbandes in Europa. Außerdem ist er offensichtlich ein sympathischer und sehr kompetenter Botschafter in Sachen Kobudo.
Mehr als sechs Stunden dauerte der erste Teil des Intensiv-Lehrgangs. Und mir wurde schnell klar, dass die Stockformen des Lung Chuan Fa und die des Kobudo nahezu nichts gemein haben. Das Tesshinkan-Kobudo setzt auf kurze, auf maximale Effektivität ausgerichtete Bewegungen. Die werden kombiniert mit einer rotierenden Hüftbewegung. Hört sich kompliziert an? Mein lieber Schwan, das ist es auch!
Dazu kommen Griffwechsel und seitenverkehrtes Üben, was in dieser Form im Lung Chuan Fa gar nicht praktiziert wird. Was dagegen fehlt, sind Stockwirbel. Dafür unterscheiden sich die Stände in feinen, aber wesentlichen Punkten. Und der Handhaltung wird noch mehr Wert beigemessen als bisher gelernt, auch und gerade der „zweiten“, also zurückziehenden Hand. Die Ellbogen bleiben möglichst dicht am Körper. Das ergibt einen ziemlich schnörkellosen und effektiven Umgang mit dem Bo. Die Bewegungen an sich sind nicht sonderlich komplex, aber verlangen eine extrem saubere Ausführung, um wirklich wirksam zu sein.
Das Programm, welches Sensei Pelny und seine Assistenten / Sempai durchziehen, ist eng getaktet. Gleich in der ersten der sechs Einheiten wurde der Bo allgemein mit ein wenig Theorie und Geschichte, dann die ersten fünf Kihons beidseitig und gleich in ihrer Anwendung und als Abschluss noch ein großer Teil der 1. Bo-Kata durchgenommen.
Besser oder schlechter? Das kann ich nicht beurteilen. Aber sehr anders. Und absolut faszinierend. Für mich persönlich zeichnet sich schon jetzt ab, dass das Tesshinkan-Kobudo eine extrem wertvolle Ergänzung meiner Fähigkeiten ist. In das Lung Chuan Fa-Training integrieren werde ich es allerdings nicht, denn dazu sind die Basics schon zu unterschiedlich. Aber ich habe das Gefühl, ein wenig näher zu den Wurzeln des Kempo zu kommen. Ab jetzt wird einmal im Monat nach Nordhausen gepilgert, das nächste Mal mit Bo und den „Tekko“ genannten Schlagringen. Und Nunchaku, Tonfa und Sai folgen noch.
Wenn nur diese verflixte Hüftrotation nicht wäre … 🙂
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